10.06.1991 Kulturschock in Kyoto!

Zuletzt aktualisiert vor 7 Monaten

Endlich Japan! Endlich Kyoto!

Zwei Nächte auf der Fähre nach Kobe in Japan haben mich nur wenig auf das vorbereitet, was mich in Japan erwartete. Das Schiff war außerordentlich sauber, die Stewardessen sehr freundlich und hilfsbereit. Ich hatte es allerdings vorgezogen, in einer Kabine westlichen Stils zu schlafen, obwohl es auch die gab, wo man ganz japanisch auf dem Boden nächtigen konnte.

Das Schiff war ziemlich leer. Es waren viele Japaner und ein paar Chinesen an Bord. Da sie es vorzogen, sich auch tagsüber in ihren Kabinen aufzuhalten, hatte ich  die Aufenthaltsräume und die Decks fast für mich alleine.

Ich genoss das träge Leben an Bord. Die meiste Zeit verbrachte ich gemütlich in einem der Liegestühle auf dem Sonnendeck. Die Sonne schien. Je näher die japanischen Inseln kamen, desto diesiger wurde es.

Einmaliger Höhepunkt unterwegs war der kreisrunde Regenbogen (ein Halo) um die Sonne herum. Das nahm ich als gutes Zeichen und freute mich sehr auf Japan.

Doch dort trifft mich zunächst ein heftiger Kulturschock. 

Aus meinem Reisetagebuch 1991

Japan Kimonos
Bild von Hathawulf auf Pixabay

10.06.1991 Ankunft in Japan. WOW!

Am Morgen des dritten Tags erreichen wir Kobe. Es regnet. Pech, dass ich ausgerechnet während der Regenzeit nach Japan will! Ich stehe trotzdem an der Reling, als die Jian Zhen in den Hafen von Kobe einläuft. Ein Containerschiff von Hapag Lloyd wird gerade beladen. Ein Gruß aus der Heimat! Helen und Roy (Bekannte aus dem Pujiang-Hotel in Shanghai) verliere ich bei der Passkontrolle aus den Augen. Sie wollen direkt nach Tokyo fahren, während ich nach Kyoto möchte.

Ochnö – gründliche Zollkontrolle!

Bei der Zollkontrolle werde ich höflich aber bestimmt dazu aufgefordert, meinen Rucksack zu öffnen. Alle anderen werden durchgewunken. Die Flasche mit dem Waschmittel, das ausgelaufen war, habe ich mittlerweile weggeworfen. Alles ist wieder ordentlich, und ich soll auspacken! Aber es hilft nichts! Der Zollbeamte wirft allerdings nur einen oberflächlichen Blick auf meine Sachen, die ich vor ihm ausbreite. Schließlich darf ich einpacken.

Damit habe ich leider den Anschluss an die anderen Passagiere verloren, obwohl ich darauf gehofft hatte, mich ein paar jungen Leuten anschließen zu können, von denen ich erfahren hatte, dass sie ebenfalls nach Kyoto wollen.

Wo ist der Bahnhof von Kobe?

Ich folge den Schildern, die zu einem Bahnhof weisen. Aber ich finde ihn nicht, denn an der entscheidenden Stelle fehlt der Hinweis. Ich frage in einem Geschäft eine Verkäuferin nach dem Bahnhof. Mir wird bestätigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Mehr verstehe ich leider nicht. Irgendwo in der Nähe muss der Bahnhof doch sein!

Erst als ich aufgebe, nach einem Bahnhof, wie ich ihn von Zuhause kenne, zu suchen, entdecke ich die Treppe, die zum 2. Stock des Hochhauses hinauf führt. Die Bahnsteige befinden sich ganz einfach in einer Etage des Gebäudes, in dem außerdem Büros und Wohnungen untergebracht sind. Ich finde das sehr merkwürdig.

Nachdem ich in Osaka umgestiegen bin, sitze ich in einer fast leeren S-Bahn, die nach Kyoto fährt. Ich komme, ohne es bewusst geplant zu haben, glücklicherweise in dem der Jugendherberge am nächsten gelegenen Bahnhof an. Wie kann ich auch etwas bewusst planen, wo ich doch einen völlig unbrauchbaren Reiseführer über Japan dabei habe!

Nur für die Erklärung von architektonischen Besonderheiten scheint er etwas zu taugen, aber nicht fürs Praktische! Keine Stadtpläne, kaum Hinweise auf Hotels, öffentliche Verkehrsmittel u.ä. Ich ärgere mich sehr, dass ich dieses dicke Buch schon die ganze Zeit mit mir herumgeschleppt habe. Erst jetzt, wo ich ihn brauche, merke ich, was für einen Fehlkauf ich damit getan habe.

Wie im Traum

Um zur Jugendherberge von Kyoto zu gelangen, muss ich durch eine belebte Einkaufsstraße gehen. Laden reiht sich an Laden. Exklusive Boutiquen werben mit eleganten Schaufensterpuppen. In einer hell erleuchteten Konditorei locken phantasievoll verzierte Torten und Gebäck in makellos sauberen Glasvitrinen.

Ich gehe wie im Traum weiter. Auch der Verkehr macht mich schwindelig: Linksverkehr! In den Straßen kein Gedränge, keine Fahrräder. An den Kreuzungen wartet jeder ruhig, bis die Ampel den Weg frei gibt. Alles wirkt sehr zivilisiert.

Erste Eindrücke: Die Markthalle

Als ich die Jugendherberge erreiche, ist sie wie üblich um diese Zeit geschlossen, aber ich darf meinen Rucksack schon dort abstellen. Voller Erwartungen und um einiges leichter will ich mich in der Gegend umschauen. Gleich nebenan gibt es eine Markthalle.

So etwas habe ich überhaupt noch nicht gesehen: Das Gemüse wirkt wie aus dem Bilderbuch. Jede Tomate, jeder Apfel ist makellos schön. Das Gemüse ist in ordentlichen Reihen aufgestapelt. Mohrrüben mit perfekter konischer Form liegen jeweils zu fünft zusammen.

Kyoto Markt

Nichts stört das bunte, harmonische Gefüge der Auslagen. Kein Abfall, keine braune Stelle, keine übermäßig gebogene Banane beeinträchtigen den Eindruck der Vollkommenheit.

In den Fleischläden glitzert alles vor Hygiene. Mir läuft beim Anblick von den hauchzarten Scheiben roten Schinkens das Wasser im Mund zusammen.

Eine Dame im Kimono geht mit einem Einkaufskorb über dem Arm vorbei. Der kleine weiße Hund, den sie an der Leine führt, sieht so weich und kuschelig aus, dass ich ihn spontan streichle. Er fühlt sich an wie weichgespült.

In einem Supermarkt will ich mir Ersatz für mein ausgelaufenes Waschmittel kaufen. Die Auswahl ist riesig. Ich bin völlig überfordert. Verwirrt verlasse ich das Geschäft, ohne etwas gekauft zu haben.

Erster Restaurantbesuch in Japan

Vor einem kleinen Restaurant bleibe ich stehen. In einem Schaufenster sind die angebotenen Speisen ausgestellt. Erst als ich genauer hinschaue, entdecke ich, dass die lecker aussehenden Gerichte aus Plastik bestehen.

In der Hoffnung, dass ich drinnen so ein Reisgericht aus wirklichem Reis bekomme, trete ich ein. Eine mütterliche Frau kümmert sich sofort ganz rührend um mich. Ich bin es gar nicht mehr gewöhnt, dass ich zuvorkommend und äußerst höflich bedient werde.

Fast ist es mir ein wenig unangenehm. Vor allem, dass sich die Verkäufer und Kellner dauernd vor mir verneigen, ist mir peinlich. Aber hier ist Japan und da ist das normal! Ich werde mich daran gewöhnen müssen!

Ungewohnt: Die Jugendherberge

Endlich öffnet die Jugendherberge ihre Pforten. Ich bekomme ein Bett in einem 8-Bett-Zimmer zugewiesen. Das kostet mich pro Tag ca. 45,- DM. Ich schlucke, als ich den Preis höre. Das ist erheblich mehr, als ich geplant habe. Dass Frühstück und Abendessen im Preis eingeschlossen sind, kann mich nur wenig trösten. Ich könnte auch in die etwas preisgünstigere Jugendherberge am Stadtrand gehen. Aber dann hätte ich die zusätzlichen Kosten für den Bus. Von hier aus kann ich wenigsten zu den meisten Sehenswürdigkeiten zu Fuß gehen.

Ich stelle schnell fest, dass ich schon seit Jahren in keiner Jugendherberge mehr abgestiegen bin. Mit den meisten Routinen bin ich nicht vertraut: 22:30 Uhr heißt es „Licht aus“! Um 6.00 Uhr wird geweckt, um 6:40 Uhr soll man endgültig aufgestanden sein. Die Herbergsmutter kommt persönlich vorbei, um das zu kontrollieren. Das Bett muss ich selber machen und helfen, das Zimmer und die Küche aufzuräumen. Um 9:00 Uhr morgens werde ich unnachgiebig vor die Tür gejagt. Was mache ich nur, wenn ich hier krank werde oder wenn es in Strömen gießt?!

Andererseits bietet diese Jugendherberge auch eine Menge Annehmlichkeiten: Ein großes, sauberes japanisches Bad, einen Haarfön im Waschraum, abends Videofilme in Englisch und einige Münzwaschmaschinen.

Das Essen ist ein Gemisch aus westlichen und japanischen Gerichten. Die Handhabung der japanischen Essstäbchen, die vorne etwas spitzer zulaufen als die chinesischen, ist am Anfang etwas schwierig. Besonders der breiige Kartoffelsalat, der am ersten Abend serviert wird, will nicht auf meinen Stäbchen bleiben.

Neben einer Reihe von japanischen Studenten sind auch ein paar Westler da. Am Abend nach dem Essen und einem ausgiebigen Bad hängt man wieder einmal um den großen Tisch im Aufenthaltsraum über den Landkarten und macht Pläne.

Besichtigungen und lange Fußmärsche

Die ersten Tage in Japan sind warm und sonnig trotz der gerade herrschenden Regenzeit. Jeden Morgen mache ich mich sofort nach dem Frühstück auf Besichtigungstour.

Auch wenn ich jeden Tag völlig k.o. bin von den langen Fußmärschen und den vielen exotischen Eindrücken, genieße ich den Besuch der Tempel.

Fast täglich werde ich Zeuge von kleinen Zeremonien. Wie aus einer vergangenen Welt wirken die Shinto-Priester mit ihren hohen schwarzen Kopfbedeckungen und den glänzenden Holzschuhen, die nur ein würdevolles Schreiten zulassen.

Viele Frauen gehen im traditionellen Kimono gekleidet in die Tempel. Die Hallen sind dann erfüllt von dem hellen Klang der Glocken und dumpfen Trommelschlägen. Immer gibt es Bänke, wo ich in Ruhe sitzen und auf die Landschaft schauen kann. Manchmal setze ich mich auch auf die sauberen Tatami-Matten.

JapanKinder

Überall treffe ich auf ganze Schulklassen, die unterwegs sind, um die Tempel und Gärten zu besichtigen. Selbst die Jüngsten, die noch im Kindergartenalter sind, verhalten sich ruhig und diszipliniert.

Nur in der Nijo-Burg in Kyoto machen sie mit ihrem Getrappel auf dem „Nachtigallenboden“ einen fürchterlichen Lärm. Dieser Fußboden wurde so gestaltet, dass er bei jedem Schritt laut quietscht, daher der Name. Dieser Krach sollte die Bewohner früher vor ungebetenen Eindringlingen warnen.

Mich überkommt ein Gefühl der Unwirklichkeit. Es ist alles wie ein Traum. Bin ich wirklich in Japan?? Oder wache ich gleich zuhause auf und muss ins Büro? Ich kann es manchmal gar nicht fassen, dass ich es wirklich geschafft habe. 2 Monate schon unterwegs und keine Ende abzusehen…

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Wie alles begann

Ulrike

10 Gedanken zu „10.06.1991 Kulturschock in Kyoto!“

  1. Es gibt einem ganz viel Selbstvertrauen, wenn man weiß, dass man auch ohne große Sprachkenntnisse überall durchkommt. In China war es in den 80ern und 90ern nicht weit her mit Englisch. Natürlich klappt nicht alles sofort. Ich habe in Japan damals auch mal im falschen Zug gesessen. Das ist mir übrigens in Deutschland auch schon passiert.

  2. Du warst ganz schön mutig, so etwas alleine durchzuziehen. In Japan ist es meist sehr schwierig ohne minimale Sprachkenntnisse. Ich habe im Bahnhof von Kyoto fast eine Stunde gesucht, um etwas zu finden, bin einmal mit dem Zug in die falsche Richtung gefahren und vieles mehr. In China stehen in den großen Städten wenigstens noch die englischen Namen in den Metros, das fehlt in Japan ganz. Trotzdem gibt es viel Interessantes zu sehen.

  3. Danke, Kasia! Nein, die alten Fotos lasse ich. Eigentlich habe ich auch vor, noch mehr von den alten Dias einzuscannen. Die, die ich jetzt nehme, habe ich vor etlichen Jahren mal für eine andere Webseite eingescannt. Das Scannen war damals noch nicht so entwickelt. Auch war die damals benötigte Auflösung recht niedrig. Das Scannen der Dias ist ziemlich mühsam. Vorläufig behelfe ich mich mit Pixabay.
    Liebe Grüße
    Ulrike

  4. Herrlich unterhaltsam geschrieben. Ich mag deine Berichte von früher. Der Bahnhof in einem Bürogebäude, darauf wäre ich auch nicht gekommen… und damals hatte man es nicht so einfach wie heute, sich zu jeder Zeit Informationen zu beschaffen.

    Das mit den Pixabay-Bildern ist schön und gut, aber ich finde deine älteren Aufnahmen aus den Neunzigern so nostalgisch schön. Lass sie nicht ganz verschwinden 😉

    Liebe Grüße
    Kasia

  5. Oh, das mit den Shinto-Priestern finde ich am interessantesten! Aber Japan ist ja auch eines meiner Must-Do-Länder. Obwohl das Regime in den Jugendherbergen ja offenbar schon ganz schön hart ist 😉

  6. Ich liebe Futons! Und auch wenn ich die Schlichtheit eines japanischen Schlafzimmers nicht erreicht habe, so schlafe ich tatsächlich auf einem Futon auf dem Boden. 😉

  7. Japanische Traditionen haben etwas, das steht außer Frage. Aber ich würde mir niemals ein japanisches Schlafzimmer einrichten 😀 Ich habe schon immer in einem ganz normalen Bett geschlafen. Und daran wird sich nichts mehr ändern.

  8. Ich war schon ganz neugierig auf Deinen Kommentar. Die kritischen Einträge habe ich zunächst noch zurückgehalten. Sie kommen noch! 😉 Trotzdem: diese wunderschönen Tempel! Die heißen Bäder! Ich träume immer noch von einem japanischen Schlafzimmer mit Tatami-Matten und Futon! Doch ich habe einfach zuviel Krempel, als dass ich so einen klaren, einfachen Raum zu gestalten. LG ulrike

  9. Kulturschock 😀 Herrlich! 😀 Auch das ist Japan. Dort war schon immer alles etwas anders. Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Und ich hoffe auf Kritik. Denn die kann ich auch vorbringen. Ich bin schon viel zu deutsch für dieses Land.

    Liebe Grüße

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