08.07.1991 „Those ridiculous Tombs“

08.07. – 25.07.91 Königsgräber in Kyongju (Gyeongju)

Wie Ihr schon an den Daten sehen könnt, habe ich mir fast drei Wochen in Gyeongju gegönnt. Hier stimmte einfach alles! Zunächst einmal die Pension des Mr. Kwon. Ideal beim Busbahnhof gelegen, viel gerühmt von Backpackern und auch fast die einzige mögliche Unterkunft, wenn man von der Jugendherberge absieht, die irgendwo außerhalb liegt.

Königsgräber bei Kyongju Gyeongju
Königsgräber bei Kyongju

Mr. Kwon bemüht sich rührend um die Backpacker aus aller Welt. Er steht mit einer selbst skizzierten Landkarte bereit, wenn man Wanderungen in der Umgebung machen möchte oder Tipps für Ausflüge braucht. Gerne verbringt er auch seine Abende mit uns, bringt uns koreanische Lieder bei und zeigt uns sein Yoga-Können. Die Zimmer sind klein, und solange man drin wohnt, muss man auch selbst sauber machen. Aber ich bin froh, dass ich meine vier Quadratmeter Privatsphäre habe, die ich nur mit unzähligen winzigen Ameisen teile.

Aus meinem Reisetagebuch 1991:

Die großartige Pension von Mr Kwon

In Kyongju (Gyeongju) angekommen finde ich schnell die Pension des Mr. Kwon und bekomme auch gleich ein kleines Zimmer im 1. Stock des kleinen Hauses. Dieses Zimmer ist gerade mal 4 Meter im Quadrat groß und soll ein Doppelzimmer sein! Eine dünne, mit einem Laken aus Kunstfasern bezogene Matratze liegt auf dem Linoleumboden. Unter dem kleinen Fenster steht ein niedriges Tischchen mit einem genauso niedrigen Stuhl.

Wenn ich meinen Rucksack ablege, ist das Zimmer komplett voll. Ich kann mir nicht vorstellen, dass auf der Matratze außer mir noch jemand Platz hätte, selbst wenn ich sehr schlank wäre. Ich bin auch nicht alleine: kleine, schwarze Ameisen krabbeln auf dem Boden herum.

Es gibt den ganzen Tag über heißes Wasser, was ich gleich zum Wäsche waschen nutze. Durch die nasse Wäsche, die ich auf meine quer durch das Zimmer gespannte Wäscheleine hänge, erhöht sich die ohnehin schon kaum zu ertragende Luftfeuchtigkeit. In Korea ist die Regenzeit bei gleichzeitigen tropischen Temperaturen gerade auf ihrem Höhepunkt.

In einer Ecke an der Treppe gibt es eine Couch und ein paar Sessel, beliebter Treffpunkt zum Frühstück oder am Abend. Hier kann man sich heißes Wasser machen, Kaffee trinken und quatschen. Ich treffe gleich Leute, mit denen ich im Laufe der Zeit einige Wanderungen unternehme. Reisende kommen und gehen. Aber zum Schluss sind wir eine lustige Gemeinschaft: Carsten aus Dortmund, Annemarie aus der Schweiz, Ron und Adinda aus den Niederlanden und ich.

Gyeongju

Noch immer im Gedächtnis: Das großartigste sind die vielen, vielen Reste aus der koreanischen Königszeit. Gyeongju war einst die Hauptstadt des Silla-Reiches (57 v. Chr. bis 935). Das gilt als die Goldene Zeit des alten Koreas. In und um Gyeongju gibt es zahllose Königsgräber, die Ruinen eines alten Palastes und ein tolles Museum.

Für alles gibt es ein gemeinsames Eintrittskartenheft, das geradezu dazu verführt, alle Sehenswürdigkeiten „abzuhaken“. Mein Eifer wird ein wenig gebremst von der Regenzeit. An manchen Tagen schüttet es aus Eimern. Dann gönne ich mir ein paar Ruhetage.

Doch es gibt reichlich Tage, an denen es nicht oder nur wenig regnet. Dann bin ich unterwegs: Museum, Ruinen und immer wieder die grünen Grabhügel. Korea ist unglaublich grün und an allen Straßen blühen die schönsten Blumen.

Nicht weit gibt es außerdem den Namsan, einen Berg, der übersät ist von Buddhastatuen und kleinen Einsiedeleien. Mit Margarete aus Australien und Hiroshi aus Japan begebe ich mich auf die erste Wanderung.

Wanderung am Namsan

Bei bedecktem Himmel aber trockenem Wetter gehen wir los. Von Mr. Kwon haben wir einen kleinen Plan der Wanderwege am Namsan bekommen. Bis zum Startpunkt der von uns geplanten Wanderung fahren wir mit dem Bus. Dann geht es in einem Bachbett immer den Berg hinauf.

Die Regenfälle der letzten Tage haben aus dem Bach ein Flüsschen gemacht, das wir ein paar Mal durchqueren müssen. Auf diese Weise werden wir auch ohne Regen nass. Aber es ist relativ warm. Als wir beim ersten Tempelchen angekommen sind, müssen wir uns von dem anstrengenden Aufstieg erst einmal ausruhen. Aber wir haben es schon fast geschafft. Bald danach sind wir auf dem Bergrücken.

Hiroshi und ich unterwegs am Namsan
Hiroshi und ich unterwegs am Namsan

Nebel!

Die Wolken hängen tief. Nebelschwaden umgeben uns. Es herrscht tiefe Stille. Nicht einmal ein Vogel zwitschert. Seit mehr als einer Stunde haben wir keinen Menschen mehr getroffen. Ich ärgere mich, dass ich keinen Proviant mitgenommen habe, denn mir knurrt der Magen.

Da taucht aus dem Nebel eine Frau auf. Hiroshi, der ein wenig Koreanisch spricht, fragt sie nach dem Weg. Sie ist ganz erfreut, dass sie sich mit uns verständigen kann, und erklärt uns ausführlich, wie wir am besten weitergehen. Zum Abschied schenkt sie jedem von uns eine große saftige Tomate. Mir scheint das wie ein Wunder, eine Antwort auf meinen Wunsch nach Essen.

Im dichten Nebel gehen wir weiter. Ein schmaler Pfad führt uns hoch über einem tiefen Abgrund, dessen Talsohle im nebligen Dunst verschwindet, an Buddha-Reliefs vorbei. Kleine grüne und größere schwarze Frösche springen munter vor unseren Tritten davon. Margaret fängt an, sie zu zählen. Aber bei 100 gibt sie auf. Es sind wirklich unzählige Frösche!

Einladung zur Nudelsuppe

Schließlich geht es hinab in den Wald, wo wir nach kurzer Zeit auf eine Einsiedelei stoßen. Zwei alte Frauen leben hier. Als wir kommen, sind sie gerade dabei, in alten buddhistischen Lehrbüchern zu lesen. Sie freuen sich über unseren Besuch und unser Interesse an dem kleinen Tempel.

Mit einer Freundlichkeit, die keine Ablehnung zulässt, laden sie uns zu einer einfachen Nudelsuppe ein. Hiroshi schwatzt ein wenig mit ihnen – wir sitzen auf der kleinen Veranda und lauschen der Stille und dem Plätschern eines Baches.

Nachdem wir uns ein wenig erholt haben, gehen wir weiter bergab. Bald sind wir an einer Straße angelangt, an der wir einfach warten, bis nach einer Stunde ein Bus kommt, der uns nach Kyongju (Gyeongju) zurückfährt.

Neben all den Wanderungen und Besichtigungen bestimmen auch ganz alltägliche Dinge meine Tage in Gyeongju:

Geburtstag in Gyeongju

Am nächsten Tag habe ich Geburtstag. Ich habe rechtzeitig meine Eltern über meinen Aufenthaltsort informiert samt Faxnummer. Mr. Kwon händigt mir am Morgen schimpfend ein Geburtstagsfax von meinem Vater aus. Er schläft direkt neben dem Faxgerät und wurde gegen 1 Uhr nachts von dem ankommenden Fax geweckt. He was not amused!

Am Abend schenkt mir Margaret zum Geburtstag einen kleinen Kuchen mit einer Kerze drauf. Ich bin ganz gerührt und ein wenig deprimiert, weil mir meine Freunde von daheim fehlen. Ob ich in Seoul viel Post haben werde? Ich bin schon sehr gespannt. Doch für Korea hatte ich allen nur die Adresse des Hauptpostamtes in Seoul gegeben, wo ich eigentlich um diese Zeit sein wollte. Je länger ich unterwegs bin, desto wichtiger werden mir Nachrichten von Zuhause.

Mein Zimmerchen bei Mr. Kwon
Mein Zimmerchen bei Mr. Kwon

Ich lerne den Umgang mit dem Waschbrett

Wäsche waschen ist auch mal wieder angesagt. Im Hof  gibt es eine Waschstelle und ein Waschbrett. Ich verwöhnte Westlerin habe erhebliche Schwierigkeiten, auf diese Weise meine Wäsche zu waschen. Schnell sind meine Finger wund vom Reiben auf dem Waschbrett. Aber meine Wäsche wird schließlich sauber und hängt wegen des Regens auf einer Wäscheleine in meinem Zimmerchen. Dort herrscht mittlerweile ein feuchtes tropisches  Klima. Ich schwitze sehr.

Als ich dann wieder alleine los gehe, gerät die Wanderung zum Abenteuer

Verirrt am Namsan

Am nächsten Tag scheint die Sonne. Mich locken noch einmal die Reliefs am Namsan-Berg. Heute gehe ich alleine – Margaret und Hiroshi sind weitergezogen – von einer anderen Seite an den Berg heran.

Ich habe allerdings nicht daran gedacht, dass Samstag ist. Die weiten Wälder am Hang des Namsan sind voller koreanischer Familien, die hier ihr Wochenende verbringen und fröhliche Picknicks veranstalten. Dazu gehört es, dass jede Familie ihren eigenen Ghettoblaster dabei hat, aus dessen Lautsprechern von allen Seiten laute Musik tönt – und von jedem andere.

Ich reagiere ärgerlich auf diesen Lärm. Eigentlich hatte ich doch einen ruhigen Waldspaziergang machen wollen! Aber noch lange begleiten mich die koreanischen Discohits. Der Wanderweg aus meiner kleinen Karte entpuppt sich als Trampelpfad, der nach einiger Zeit im Gebüsch verschwindet. Aber ich weiß, dass sich weiter oben ein richtiger Weg befindet. Deshalb gehe ich unverdrossen bergauf, vorbei an etlichen Buddhastatuen, die im Wald verstreut sind.

Die Schlange

Einmal sehe ich auf einem sonnigen Felsen eine Schlange. Sie ist grau und guckt mich böse und starr an. Mr. Kwon erklärt mir abends, dass die grauen Schlangen ungefährlich sind. Nur die grünen, die es auch in den Wäldern um Kyongju (Gyeongju) gibt, sind giftig. Da ich das aber noch nicht weiß, mache ich einen weiten Bogen um das Tier.

Dabei durchquere ich einen kleinen Bach und finde dahinter endlich meinen Trampelpfad wieder. Ich bleibe häufig stehen. Es gibt so viel zu sehen: bunte Schmetterlinge, Vögel und Eichhörnchen, Libellen und Frösche – von den vielen Statuen mal ganz abgesehen.

Kurze Rast und weiter!

Bei einer Einsiedelei mit einem Brunnen mache ich Rast, trinke etwas Wasser und freue mich an der Sonne. Der Lärm der Straße und die Ghettoblaster sind hier nicht mehr zu hören. Es herrscht eine friedliche Stille.

Zwei koreanische Wanderer gesellen sich kurz zu mir. Sie sind profimäßig mit Stirnbändern und guten Wanderstiefeln ausgestattet und schauen mitleidig auf meine Turnschuhe. Ich bin ohne Hut oder Kopftuch unterwegs. Bei der Sonne heute kann das nur bedeuten, dass ich nachher ganz fürchterliche Kopfschmerzen haben werde.

Der Weg scheint kein Ende zu nehmen

Endlich finde ich den breiten Forstweg, der entlang des Gipfelgrates nach Norden führt. Eigentlich kann es nicht mehr weit sein, bis der Weg wieder nach unten geht und ich an der Straße entlang nach Kyongju (Gyeongju) zurückgehen kann. Aber da habe ich mich getäuscht!  Der Weg ist ganz bequem, glatt und ohne Steigungen, aber er scheint kein Ende zu nehmen. Bald beginnt die Sonne zu sinken und taucht den Wald in sanftes Gelb. Ich mache mir Sorgen, denn ich finde den Gedanken daran, im dunklen Wald weitergehen zu müssen, nicht sehr attraktiv. Seit einiger Zeit ist mir kein Mensch mehr begegnet. Ich habe Durst und würde gerne noch eine Quelle oder einen Tempel mit Brunnen finden. Aber leider gibt es die an diesem Weg nicht. Ich beschleunige meine Schritte und endlich, endlich geht es bergab. Schnell bin ich an der Straße und fast schon in Kyongju (Gyeongju).

Als ich in meinem Zimmer bin, habe ich Migräne und falle erschöpft auf die Matratze. Ich schlafe tief und fest trotz Hitze, hoher Luftfeuchtigkeit und trotz der  Ameisen, die ihre Straße nun direkt über mein Bett verlegt haben.

Südkorea Eintrittskarten
Die Reste meines Gutscheinheftes. Ich hatte mir, als ich mich entschloss, länger in Gyeongju zu bleiben noch ein zweites gekauft.

Dann geht es mir wieder gut. Mittlerweile habe ich Carsten, Annemarie, Ron und Adinda kennen gelernt, die mit mir zusammen von Grab zu Grab laufen, immer gewillt, auch den nächsten Grabhügel zu erkunden. Die Sonne scheint nun meistens. Ich kaufe mir einen flotten Strohhut. Wir haben viel Spaß zusammen und sitzen häufig in der Couchecke.

Neue Freundschaften

Im Guesthouse von Mr. Kwon kommen die merkwürdigsten Menschen zusammen. Ein gediegen aussehendes belgisches Ehepaar erklärt uns, dass sie nach zwei Wochen Korea die Nase voll hätten und früher als geplant nach Hause abreisen würden. „Die Tempel sehen sowieso alle gleich aus, und die Seide ist zu teuer.“ Wir schütteln verständnislos die Köpfe, für uns sehen die Tempel eben noch nicht alle gleich aus und Seide wollen wir sowieso nicht kaufen. Nur die Gräber sind sich zugegebenermaßen ziemlich ähnlich.

Die Australierin im rosa Nachthemd

Eine Australierin wird ein beliebtes Objekt unserer Spekulationen, was so jemand wohl hier in einem einfachen Guesthouse mitten in Korea macht. Sie fällt durch ihr sorgfältiges Make Up und die extrem langen, sorgfältig manikürten Fingernägel auf. Eines Abends kommt sie aus der Dusche, bekleidet mit einem langen rosa Nachthemd und mit einem eindrucksvollen großen Kosmetikkoffer in der Hand.

Da sie schon mal drei Wochen in China gewesen ist, kann sie mit mir stundenlang über die Bierpreise dort diskutieren, die sie anscheinend am meisten beeindruckt haben. Die Gräber in und um Kyongju (Gyeongju) bezeichnet sie als „ridiculous“. Eines Morgens treffe ich sie samt ihrem umfangreichen Gepäck im Flur und frage sie, ob sie denn schon aufbrechen wolle. Sie antwortet ganz erstaunt: “Schon? Ich bin bereits 1 Stunde hinter meinem Zeitplan zurück!“ Als ich sie dann abends zu meinem Erstaunen wieder bei Mr. Kwon antreffe, hat sie durch die Besichtigung der „ridiculous tombs“ den letzten Bus nach Busan verpasst und muss noch eine Nacht bleiben.

Der merkwürdige Mr Kwon

Eigentlich ist Mr. Kwon auch ein sehr merkwürdiger Mensch, nicht nur, dass er die Traveller zum Singen auffordert, nein, man kann ihn auch zu jeder Tageszeit auf dem Kopf stehend oder Seilchen springend antreffen. Jeden Tag um 18:00 Uhr überlässt er sein Guesthouse den Travellern, denn dann joggt er eine halbe Stunde. Er ist halt sehr sportlich. Manchmal habe ich allerdings das Gefühl, dass er der Reisenden überdrüssig ist.

Rons Geburtstag und der Schnaps

Aber er ist dann doch sehr nett zu uns. Eine Woche nach meinem Geburtstag feiern wir in einer kleinen Runde den Geburtstag von Ron. Dazu stellt uns Mr. Kwon seinen Innenhof und einen Tisch zur Verfügung. Da Bier relativ teuer ist, spendiert uns Ron Koreanischen Schnaps mit Saft gemischt.

Als Höhepunkt bringt uns Mr. Kwon selbstgebrannten „Kimchi-Schnaps“ zum Probieren. Ich trinke davon einen kleinen Schluck. Der Schnaps schmeckt eigenartig nach Weißkohl und macht mich sofort betrunken. Unvermittelt merke ich, dass ich Schwierigkeiten mit dem Sprechen bekomme. Ich verabschiede mich sofort und ziehe mich auf mein Zimmer zurück.

Ich habe in den letzten Monaten wenig Alkohol getrunken und vertrage anscheinend auch nichts mehr. Ich habe immer das Gefühl, ich muss mich davor hüten, die Kontrolle zu verlieren. Na, das ist auch besser so! Schnaps hat mir sowieso noch nie geschmeckt. Bier ist zu teuer hier, also halte ich mich außer an Tee und meinen mitgebrachten Nescafé an Cola oder Wasser.

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Wie alles begann

Ulrike

2 Gedanken zu „08.07.1991 „Those ridiculous Tombs““

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