03.10.1991 Quer durch China mit dem Zug

Zuletzt aktualisiert vor 7 Monaten

Durch China mit dem Zug – 1991 dauert das endlose Stunden

Zugfahrten! Endlos lange Zugfahrten! Ich hatte nun erstmal beschlossen, direkt nach Yunnan weiterzufahren. Das bedeutete aber auch, dass ich von Changsha nach Kunming 32 Stunden Bahnfahrt vor mir hatte. Damals konnte ich die Dauer einer solchen Fahrt selbst ausrechnen. Rund 1400 Kilometer liegen zwischen Changsha und Kunming. Ein normaler chinesischer Zug fährt (fuhr) knapp 50kmh. Ergebnis: ca. 32 Stunden Bahnfahrt mit Stopps.

Nachtzugfahrten in China 1991

Auch sahen die Züge in China alle gleich aus. Es gab die Hardsleeper-Wagen mit 6-Bett-Abteilen, die zum Gang hin offen sind, die Softsleeper-Wagen mit geschlossenen 4-Bett-Abteilen und die Hardseat-Wagen.

Da Changsha ein Durchgangsbahnhof war, konnte man keine Betten vorher reservieren. Das hat sich erst in den letzten Jahren geändert, als nach und nach viele Strecken modernisiert wurden und spezielle Strecken für die Hochgeschwindigkeitszüge eingerichtet.

2020 Mit Hochgeschwindigkeit unterwegs

Schnellzüge im Jahr 2019
Jetzt gibt es auch auf der Strecke Changsha – Kunming Hochgeschwindigkeitszüge!! Der schnellste Zug braucht für die Strecke rund 5 Stunden! Ja, richtig: 5 Stunden! Aber es gibt auch immer noch zwei Nachtzüge: der eine braucht 19 Stunden, der andere 25 Stunden.

Hardsleeper fand ich übrigens immer sehr angenehm. So ein mittleres oder oberes Bett verschafft einem etwas Abstand. Die Decken sind meistens sauber und ich kann da gut schlafen. Mit den Mitreisenden kommt man schnell in Kontakt. Über Ordnung und Ruhe wacht eine Schaffnerin. Diese Hardsleeper-Wagen gibt es immer noch und sie sehen noch fast genauso aus wie damals 1991. Aber quer durch China mit dem Zug war und ist eine sehr harte Herausforderung.

Auch das Fahrkarten Kaufen hat sich stark verbessert! Es gibt diese kleinen, nicht einsehbaren Fensterchen nicht mehr, mit denen die Schalter damals ausgestattet waren. Ja, nicht nur das! Man kann sich seine Fahrkarte auch bequem übers Internet kaufen! Doch, das ist ein großer Fortschritt, der mir gut gefällt!

Aus meinem Reisetagebuch 1991:

1. Schritt: Changsha – Ich kaufe eine Fahrkarte

Auf dem Weg zu dem von mir ausgesuchten Hotel (Changsha habe ich tatsächlich in meinem Reiseführer gefunden!) treffe ich ein junges Pärchen aus England. Auch sie suchen ein Hotel und schließen sich mir an. Es ist nett, mal wieder englischsprachige Unterhaltung zu haben. Im Hotelzimmer setze ich mich hin und male sorgfältig in Chinesisch auf ein Stück Papier: „1 Person Hardsleeper Changsha – Kunming für den 04.10.“ Das dauert eine Weile und braucht viele Versuche, bis ich mit meiner Leistung zufrieden bin.

Mit meinem „Meisterwerk“ gehe ich zum Bahnhof zurück und versuche mein Glück. Der Fahrkartenschalter ist in einer dunklen Halle untergebracht. Vor ihm befindet sich ein hüfthohes Gitter, danach ist ungefähr 30cm Platz, dann kommt die Mauer mit einem Absatz in Brusthöhe. Dort ist noch ein Gitter angebracht. Auf der anderen Seite des Absatzes befindet sich eine Holzwand, in die ein ca. 20cm hohes, halbrundes Fenster eingelassen ist. Dieses Fenster ist noch einmal durch ein Brett halb versperrt. Ich kann niemanden dahinter sehen, strecke meine Hand durch das Gitter und das Loch zwischen Brett und Fensterrahmen und reiche meinen Zettel durch. Irgendwer nimmt ihn mir ab.

Nach ein paar Sekunden sehe ich die Fingerspitzen einer Hand, die mir einen Zettel hinhalten: „Only hardseat!“ steht da drauf – auf Englisch! Ich bin etwas verdutzt, ich kann mit der Person hinter dem Fenster nicht sprechen, ich kann sie ja noch nicht einmal sehen! Woher weiß sie eigentlich, dass ich kein Chinese bin? Kann sie mich sehen? Aber wahrscheinlich waren meine Schriftzeichen nicht die besten. Da die Menge hinter mir drängelt, kann ich nicht so lange bleiben, bis ich weiß, was ich machen soll. Ich drehe mich frustriert um und gehe.

Erfolglos

Im Hotel treffe ich die Engländer und gehe mit ihnen zusammen essen. Unterwegs entdecken wir eine Art Verkaufsbüro für Fahrkarten. Der Mann, der dort arbeitet, ist sehr nett. Er spricht ein gutes Englisch und erklärt uns, dass wir keine Reservierung für den Liegewagen bekommen können, da alle Züge entweder aus Shanghai oder aus Beijing kommen. Aber er meint, dass es kein Problem ist, im Zug, im Wagen 8, einen Liegewagenplatz zu bekommen. Ich ergebe mich in mein Schicksal. Also muss ich mich zur Not darauf einrichten, 32 Stunden im Hardseat zu verbringen. Ich bestelle meine Fahrkarte nach Kunming für morgen. Die Engländer wollen morgen weiter nach Kanton fahren, also in die andere Richtung.

2. Schritt: Ich bin ein Problem

Meine Fahrkarte für Hardseat habe ich bekommen. Nun kommt also der Härtetest! Am Nachmittag steige ich in meinen Zug nach Kunming. Ich bin sehr nervös, ob ich einen Platz im Hardsleeper bekommen werde. Ich habe ja nur die Hardseat-Fahrkarte. Es passiert, was ich mir vorhergeahnt hatte: Eine Schaffnerin versperrt mir den Weg und gibt mir zu verstehen, dass ich wegen des Hardsleeper-Betts zu Wagen 8 gehen soll.

Ich gehe draußen auf dem Bahnsteig am Zug entlang und finde keinen Wagen 8! Zurück: 10 – 9 – 7 – 6…. Ich sage das der Schaffnerin. Unsere Unterhaltung ist natürlich schwierig, weil ich kaum Chinesisch kann und sie kein Englisch. Sie winkt ab: Wagen 8 und sonst nichts!

Ich gehe noch einmal die Wagen entlang und zähle: 6 – 7 – 9 – 10…! Nichts! Entschlossen und mit der deutlichen Absicht, mich nicht mehr veralbern zu lassen, gehe ich wieder zur Schaffnerin. Die holt ihre Vorgesetzte. Beide sind nun ziemlich ärgerlich, aber ich lasse mich nicht mehr wegschicken.

Weil der Zug bald abfahren wird, lässt man mich widerwillig einsteigen. Ein Bett bekomme ich aber nicht. Ich setze mich auf einen Klappsitz im Gang und warte ab. Der Zug fährt los. Ich sitze allen Leuten, die vorbei wollen, im Weg. Und denke bei mir: „Ich bin ein Problem, nun seht mal zu, wie ihr mich löst!“

Die Lösung

Als die Schaffnerin das zweite Mal über meine langen Beine stolpert und erstaunt feststellen muss, dass ich immer noch da bin, geht sie erneut zu ihrer Vorgesetzten. Nach kurzer Besprechung wird mir gesagt, dass ein Bett für mich frei sei. Sie schreibt mir die Nummer des Bettes auf und sagt, dass ich zu Wagen 8 gehen soll, damit ich dort den Aufschlag zahle und meine Fahrkarte für dieses Bett bekomme.

Ich habe keine Lust mehr auf weitere Auseinandersetzungen, bin gar nicht sicher, ob ich die Schaffnerin richtig verstanden habe. Ich raffe mein Gepäck zusammen und mache mich resigniert auf den Weg durch den schaukelnden Zug.

Eine Tür fällt hinter mir zu, jetzt bin ich im Zugrestaurant und anschließend kommt der Hardseat-Wagen. Egal! Dann eben 30 Stunden Hardseat! Ich habe ja bislang immer Glück gehabt! Da muss ich auch mal ein wenig Pech in Kauf nehmen. Doch – oh Wunder! – innen im Zug kommt nach Wagen 7 tatsächlich Wagen 8! Da sitzt in einem kleinen offenen Büro eine junge Dame, die mir freundlich ein paar Yuan abnimmt und mir genauso freundlich meine Hardsleeper-Karte gibt.

Hurra! Ich habe ein Bett!

Ich habe ein Bett! Ich gehe schnell zurück zu dem Wagen, beziehe mein Bett – oben bei ganz lieben Leuten, die mich mit einem breiten Lächeln empfangen. Ich bin ganz stolz auf mich, weil ich mich mit meinem bisschen Chinesisch so durchgesetzt habe.

So ein oberes Bett gibt mir aber auch die Möglichkeit, mich bei Gelegenheit aus dem Trubel zurückzuziehen. Das Bett ist hart, aber daran hab ich mich schon gewöhnt. Ich schlafe jedenfalls sehr gut.

05.10.91 Unterwegs nach Kunming

Den ganzen Tag geht es nun durch China mit dem Zug. Nachdem gestern Abend niemand von meinen Mitreisenden so recht mit der Sprache herauswollte, so stellt sich heute doch heraus, dass einige etwas Englisch sprechen. Zusammen mit meinen paar Worten Chinesisch können wir uns tatsächlich unterhalten. Schade, dass ich mein Päckchen mit Fotos von Zuhause ganz unten im Rucksack habe! Aber ich habe ein paar Postkarten vom Schaumburger Land griffbereit. Für die Chinesen muss der Anblick eines Schaumburger Trachtenpaares mindestens genauso exotisch sein wie für mich z. B. Pekingopernmasken.

Essen unterwegs

Ich habe mir meinen Proviant selbst mitgebracht. Kekse, Instant-Nudelsuppe und ein bisschen Kuchen. Wie gut, dass der Zug manchmal lange genug anhält, dass ich mir auf dem Bahnhof eine Flasche Bier oder auch mal einen Gemüsekuchen kaufen kann.

Auf das Speisewagenessen habe ich keinen Appetit. Auch das Angebot, an den scharf gewürzten gebratenen Hühnerfüßen meiner Mitreisenden teilzuhaben, lehne ich mit der Entschuldigung, dass ich so scharfes Essen nicht vertrage, ab. Ich habe mich an die Thermoskannen mit heißem Wasser, die überall in China bereitstehen, gewöhnt. So kann ich mir, wenn ich nicht gerade Nudelsuppe esse, in meinem Email-Becher Tee oder Instant-Kaffee aufbrühen.

Draußen ist die Landschaft geprägt von Feldern. Die Reisernte hat hier noch gar nicht angefangen. Sanfte Hügel und Berge ziehen sich bis zum Horizont. Kaum Städte, immer nur Dörfer, manchmal Wald. Es regnet fast den ganzen Tag. Die Temperaturen sind merklich kühler geworden.

Endlich angekommen!

Nach rund 32 Stunden im Zug, also ein Tag und zwei Nächten, steige ich am Morgen etwas steif in Kunming aus dem Zug. Zum ersten Mal beschleicht mich der Gedanke, dass ich solche langen Zugfahrten nicht mehr will.

Links

Wie alles begann

Ulrike

8 Gedanken zu „03.10.1991 Quer durch China mit dem Zug“

  1. Und plötzlich gibt es doch einen Wagen 8. Das ist ja schon fast kavkaesk! Und an Murakami fühle ich mich auch ein bisschen erinnert.

  2. Sehr gut! Bewundernswert! Ich habe auch ziemlich lange durchgehalten – zwei Jahre. Aber ich glaube, die langen Zugfahrten waren mit der Grund, warum bei uns keine große Liebe draus wurde.

  3. 😉 Fernbeziehungen sind nichts! Hatte mal einen Freund in Holland. Diese langen Zugfahrten! 😉 Danke für Deinen Kommentar!

  4. Um endlose Zugfahrten zu vermeiden bin ich damals zu Yuki gezogen. Okay, das war jetzt natürlich nur Spaß. 😉 Wie immer war dein Abenteuer spannend und ich mitten drin statt nur dabei.

Ich freue mich auf Deinen Kommentar!