Jimingyi – das Posthaus zum Krähenden Hahn

Jimingyi im Herbst 2009

Eine kleine Gruppe Chinesen schlendert an diesem Morgen langsam die schlammige Hauptstraße von Jimingyi entlang.  Was mögen sie hier suchen? Sind es Mitarbeiter einer Filmgesellschaft, die sich nach einer Kulisse umsehen? Jimingyi mit seinem mittelalterlichen Aussehen ist bei chinesischen Filmproduzenten beliebt. Auf der fast 500 Jahre alten, leicht verwitterten Stadtmauer wurde eine der ersten Kuss-Szenen  der chinesischen Filmgeschichte für den Film-Klassiker „Die Reise in den Westen“ gedreht.

Jimingyi Stadtmauer
Jimingyi – Stadtmauer

Die kleine Stadt Jimingyi, die übersetzt „Zum Krähenden Hahn“ heißt, liegt rund 150 Kilometer westlich von Peking in der Provinz Hebei. Auf dem Beijing-Zhangjiakou-Expressway dauert die Fahrt von der glitzernden Metropole mit ihren Hochhäusern in dieses Provinznest kaum eineinhalb Stunden. Und doch: mit dem Durchschreiten des mächtigen Stadttores ist in wenigen Sekunden die Zeit um 100 Jahre zurückgedreht. Nur die Stromleitungen, die an windschiefen Masten befestigt sind, erinnern daran, dass das 21. Jahrhundert  auch hier begonnen hat.

Jimingyi

Schon von Weitem ist die vollständig erhaltene Stadtmauer aus dem 16. Jahrhundert zu sehen. Die glatte lehmgelbe Südseite überragt 12 Meter hoch die Menschen, die zu ihren Füßen an diesem feuchtwarmen Septembertag einen bunten Markt aufgebaut haben. Eselskarren, hochbeladen mit dunkelroten Plastikschüsseln, gelben Reisigbesen oder grünen Kürbissen, drängen sich auf dem Weg. Die asphaltierte Straße glänzt schwarz vom Regen der letzten Stunden. Die Mauer mit ihren breiten Zinnen wirkt abweisend. Kein Tor, kein Durchgang ist in Sicht. Erst an der Westseite findet sich nach achthundert Metern ein mächtiges Portal.

Jimingyi Hauseingang

Von hier führt die breite unbefestigte Hauptstraße schnurgerade zu dem einzigen anderen Stadttor im Osten. Rechts und links ducken sich einstöckige Lehmhäuser. Auf den vom Alter dunkelgrauen Dachziegeln wächst Gras. Niedrige Stufen führen zu verwitterten Holztüren. Die letzten blassrosa Fetzen der zum Neujahr an die Türrahmen geklebten Segenssprüche wehen im schwachen Wind. Der Putz blättert von den Hauswänden und die regelmäßige Struktur der kleinen, von Hand geformten Lehmziegel ist an vielen Stellen sichtbar.

Der alte Liu hockt auf den Fersen in seinem mit einem kleinen Extra-Dach geschmückten Hauseingang und winkt: „Hier hat die Kaiserin-Witwe Cixi gewohnt. Das muss man gesehen haben! Tretet ein!“ Mit schwieligen Händen kassiert er glücklich das Eintrittsgeld von umgerechnet einem Euro pro Person.

Jimingyi Mann

Sein abgetragener blauer Mao-Anzug und seine Mao-Mütze passen in diese unwirkliche Umgebung, in der die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Mit einem Lächeln aus zahnlosem Mund zeigt er den Besuchern das spärlich möblierte Zimmer im Westen, das die verwöhnte Cixi auf ihrer Flucht vor den Allierten im Jahr 1900 für eine kurze Zeit bewohnte. Was für ein Unterschied zu den luxuriös ausgestatteten Räumen des kaiserlichen Palastes in Peking!

Eine alte Stadt

Schmale Gassen führen rechts und links in ein Gewirr von kleinen Häusern und halbverfallenen Mauern. Aufwändig verzierte Giebel und geschnitzte Haustüren erinnern an den Wohlstand in den Zeiten, als Jimingyi ein blühender Marktflecken war. Als eine Station auf dem Postweg von Peking nach Xi’an an einer Stelle, wo sich zwei alte Handelswege kreuzen, entwickelte sich das „Posthaus“ Jimingyi  während der Regierungszeit von Kublai Khan im 13. Jh. zu einer kleinen Stadt.

Doch die früher nach Weihrauch duftenden und vom dunklen Klang der Bronzeglocken widerhallenden Tempel sind verfallen. Der Ruf der Händler und das Lachen aus einst zahlreichen Kneipen und Restaurants ist verklungen. Jimingyi ist eine stille Stadt geworden. Nur in dem  800 Jahre alten Tempel der Ewigen Ruhe klingt noch manchmal ein Glöckchen.

Wenige Menschen bevölkern die Hauptstraße. Auch die chinesische Gruppe verlässt nach einer Stunde die Stadt durch das Osttor. Sie blicken noch kurz auf den Wachtturm, auf dem die berühmte Kussszene gedreht worden ist. Dann steigen sie in ihren weißen Minibus, der sie  zurück zur Autobahn und damit zurück in die  laute chinesische Gegenwart bringt.

Bild

UPDATE:

Mittlerweile hat man den ganzen Ort samt Stadtmauer renoviert. Mehr

Aktuelle Fotos von Jimingyi

Ulrike
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2 Gedanken zu „Jimingyi – das Posthaus zum Krähenden Hahn“

  1. Hallo Ulrike!

    Einer meiner Söhne wird Jimingyi nächste Woche im Rahmen seiner Klassenreise besuchen. Ich habe ihn schon gebeten, viele Fotos zu machen. Ich hoffe, das klappt (Teenager…) – ich werde berichten.

    LG Linni

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