Vertrauen unterwegs – Ali und ich

Zuletzt aktualisiert vor 9 Monaten

Ein Erlebnis, das Mut machen soll, auch mal Vertrauen zu haben, in sich, in das „Bauchgefühl“ und in andere Menschen. Reisebericht von 1982

Luxor, Ägypten 1982

Große, dunkle Augen, ein breites Lachen: „Kalesch, Madam?!“ Der Mann beugte sich zu mir und machte eine einladende Geste zum Rücksitz in seiner Kutsche. Ich zögerte. Wo würde der Mann mit mir hinfahren? Doch die Strecke war eigentlich klar und übersichtlich: einmal vom Hotel zum Museum in Luxor. Also stieg ich ein. Wie herrlich, hier an der Uferpromenade im ruhigen Trott des Pferdes entlang zu fahren!

Sonnenuntergang am Nil
Sonnenuntergang am Nil

Ich war zum ersten Mal in Ägypten, ein Traum war dabei sich zu erfüllen. Es war eine Gruppenreise, nämlich ein Fam-Trip mit anderen Reisebüroleuten. Was anderes hätte ich mir in Ägypten nicht getraut.

Wie eine Gräfin in der Kutsche

Und jetzt saß ich wie eine Gräfin in einer Kutsche, der sanfte Wind blies mir ins Gesicht.  Ich konnte mir richtig vorstellen, wie das vor 100 Jahren gewesen sein musste, als man anfing, die großartigen Ruinen und Pharaonengräber auszugraben. Ich genoss die Fahrt. Als ich aus dem Museum kam, stand er da und wartete auf mich: „Kalesch, Madam?!“ Ich begrüßte ihn wie einen alten Freund und stieg ein. Mittlerweile wusste ich auch, dass er Ali hieß und in Luxor wohnte.

Mit seinem strahlenden Lächeln überredete er mich, mit ihm durch „sein“ Luxor zu fahren. Irgendwie war ich neugierig und aufgeregt, mit einer Kutsche den sicheren Touristenpfad zu verlassen. Was würde ich alles sehen! Es war toll, kleine Straßen, Palmen, Menschen in wallenden Gewändern. Ziegen, die am Straßenrand im Dreck standen, Hühner, die über die Straße liefen. Barbiere und andere Handwerker in ihren kleinen Läden und Werkstätten. Alle waren sie freundlich, leicht erstaunt, wenn sie sahen, wer da in der Kutsche saß, und nickten grüßend.

Doch dann wurden die Gassen enger, die Häuser schienen ärmer, verfallener. Wir entfernten uns immer mehr vom Nilufer. Ali schien jeden zu kennen. Alle paar Meter rief er jemanden etwas aus der langsam fahrenden Kutsche zu, winkte und lachte.

Was wusste ich von Ali?

Mir kamen plötzlich düstere Gedanken: Was wusste ich von Ali? Wo würde er mich hinfahren? Wenn er mich hier jetzt abmurksen würde, dann wüsste niemand, wo ich war! „Nicht jeder Mensch ist ein potentieller Mörder!“ murmelte ich unhörbar vor mich hin. Warum sollte er mich ausrauben wollen? Bei mir gab es nichts zu holen. Vergewaltigen? Warum sollte er?

„Nicht jeder Mensch ist ein Mörder! Die meisten sind friedliebend und Ali ist einfach freundlich!“ Wie ein Mantra wiederholte ich die Sätze immer wieder. Ich bat ihn, umzukehren und mich zum Hotel zurückzubringen, schließlich musste ich zum Abendessen mit der Gruppe. Freundlich nickend knallte er mit der Peitsche und lenkte sein Pferd langsam in die Richtung zum Nilufer.

Ich war erleichtert. Dann machte er den Vorschlag, der mich ganz durcheinander brachte: Ob ich morgen Zeit hätte, fragte er. Er würde mir gerne auch die Umgebung von Luxor zeigen. Für wenig Geld bot Ali einen Ausflug aufs Land an. Er schwärmte von kleinen Dörfern, einem Viehmarkt, dem Besuch eines Bauernhofes und mehr. Es hörte sich sooo gut an! Interessant! Genau mein Ding! Außerdem hatten wir morgen einen freien Tag, so dass ich wirklich die Gelegenheit nutzen sollte.

Aber irgendwie war mir unwohl bei dem Gedanken, alleine mit Ali unterwegs zu sein. Konnte ich das wirklich machen? Ich, als Frau alleine in Ägypten? Ich vertröstete Ali auf Morgen, ich wollte versuchen, jemanden aus der Gruppe für den Ausflug zu begeistern. Alles kein Problem!

Bauer mit Hundewelpen
Bauer mit Hundewelpen

Wer will mit mir kommen?

Das dachte ich so: Alles kein Problem. So einen spannenden Ausflug würde sich doch niemand entgehen lassen! Typischer Fall von Denkste! Beim Abendessen erzählte ich allen begeistert von meinem Abenteuer heute und schwärmte von dem Ausflug morgen. Alle lauschten hingerissen. Doch nein, fast einen ganzen Tag mit der Kutsche unterwegs sein, das wollte niemand. Schließlich hatte das Hotel einen Swimmingpool. Das war den meisten so wichtig, dass sie auf das Abenteuer verzichteten, auch wenn es sich “wirklich interessant“ anhörte.

Ich sah mich schon auch am Swimmingpool liegen. Wie langweilig! Alleine das Abenteuer wagen? Nein, schon bei dem Gedanken stand mir der Angstschweiß auf der Stirn. Ich redete mit Engelszungen auf die Kolleginnen und Kollegen ein. Endlich, als ich schon resigniert aufgeben wollte, sagte Alexander, ein Kollege aus Nürnberg, dass er mitfahren würde. Hurra!

Ali und Alexander
Ali und Alexander

Ein toller Ausflug!

Am nächsten Morgen stand Ali wieder mit seiner Kutsche und einem breiten Grinsen vor dem Hotel. Er freute sich, als er sah, dass ich den Ausflug machen wollte.

Er fuhr mit Alexander und mir über unbefestigte Feldwege durch die Landschaft am Nilufer und bis in die Wüste dahinter. Auf den Feldern arbeiteten die Bauern, in den Dörfern gab es kleine Märkte. In einem Bauernhof durften wir in alle Zimmer schauen, ein wenig Fladenbrot mit frischen Tomaten essen und Tee trinken. Köstlich!

Alle Menschen begegneten uns mit großer Freundlichkeit und einem Lächeln. Ich fühlte mich glücklich und begeistert. Großartig, dass es mir gelungen war, diesen Ausflug zu arrangieren! Beim Abendessen im Hotel erzählten wir den anderen von unseren Abenteuern. Als Alexander sagte, dass dies der absolute Höhepunkt der Reise war, gab es neidische Blicke.

Fazit:

Nicht alle Menschen sind Mörder oder Vergewaltiger. Ich habe mit zunehmenden Alter und mehr Reiseerfahrung an Sicherheit gewonnen. Ich vertraue auf meine Menschenkenntnis und lasse mich auf manches Abenteuer ein.

Doch ich habe auch später noch in ähnlichen Situationen ein wenig Angst verspürt (siehe „ Mein erster Tag in China„). Wenn ich in einer mir unbekannten Stadt mich einem Menschen anvertraue, den ich nicht kenne, dann fühle ich mich manchmal ausgeliefert. Wenn ich die Sprache nicht beherrsche und dem Fahrer nicht sagen kann, was mich beunruhigt, trägt das zu meiner Sorge bei. Wahrscheinlich liegt das daran, dass ich dann eben nicht Herr der Situation bin und jemand fremdes vertrauen muss.

Ich habe viele Menschen unterwegs getroffen, die meine Ängste für völlig unbegründet hielten und sich mit Begeisterung in diese Abenteuer stürzten. Doch ich rate zur Vorsicht und genauer Prüfung der Risiken.

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Ulrike

16 Gedanken zu „Vertrauen unterwegs – Ali und ich“

  1. Hachja, ich bin heute etwas unerschrockener, was solche Abenteuer betrifft und vertraue auf meine Menschenkenntnis.
    LG
    Ulrike

  2. Was für ein Abenteuer!
    Kann mir so gut vorstellen wie hin und her gerissen man in solch einem Moment ist… umso schöner was Du dann alles sehen konntest-
    Lg. Petra

  3. Danke! Schön, dass du die Bilder auch so siehst 😉 Mit vernünftigem Fotos kann ich leider nicht dienen.

  4. Ja, Du hast recht. Bloss keine Angst zeigen. Hihi, ich habe mich schon so oft mit Taxifahrern angelegt, die mich über’s Ohr hauen wollten. Mich zu täuschen ist nur wenigen gelungen 😉

  5. Wie bei allen Situationen im Leben gilt auch auf einer Reise: NIE ein potenzielles „Opfer“ sein! Taxifahrer auf der ganzen Welt verdienen gern etwas mehr Geld und fahren daher bewusst Umwege. Aber es gibt auch einfach nur geschäftstüchtige Menschen, die ihr Ding mit Freundlichkeit machen. Und das merkst du dann auch. 🙂

  6. Ja, aber für mich liest sich das etwas romantisch, dass er nur besonderen personen seine heimat zeigen würde. 🙂
    das stimmt allerdings, dass ich mich heutzutage selbst mit einem freund nicht trauen würde, durch die provinzen zu fahren… :/ vielleicht ist das ein vorurteil aber man bekommt eben nur das mit, was in den medien gezeigt wird.
    ali fährt bestimmt weiter rum, allein oder mit vereinzelnden touristen und sucht die schönen plätzchen amm nil. 🙂

  7. Ach, ich weiß nicht. Ali wollte ja Geld verdienen. 😉 Aber manchmal denke ich daran zurück und finde es traurig, wie sehr der Tourismus und damit sehr viele Menschen in Ägypten unter den politischen Unruhe leiden müssen. Was Ali heute wohl macht?

  8. tolle geschichte. ich hätte mich alleine als frau auch nicht getraut. aber wie schöne eine zufällige begegnung doch enden kann! ich glaube nicht, dass ali allen touristen sowas angeboten hätte. oder? 🙂

Ich freue mich auf Deinen Kommentar!