April 1991 Peking – Wow! Ich bin schon 10 Tage unterwegs!

Nach 10 Tagen „on the road“ wird mir bewusst, dass ich nicht schon bald wieder nach Hause muss. Normalerweise ist ja mit 10 Tagen der Scheitelpunkt eines „normalen“ Urlaubs erreicht. Was hatte ich in den ersten 10 Tagen meiner „Großen Reise“ schon alles erlebt: Das bunte Moskau, damals eine Stadt im Aufbruch. Sechs Tage Transmongolische Eisenbahn. Der Sternenhimmel über der Wüste Gobi! Einmalig! Kamelherden, Nomaden, Jurten. Eine Welt wie aus einem Dokumentarfilm und ich mitten drin! Und jetzt Frühling in Peking, wo ich mich fühle, als ob ich nach Hause komme.

Sommerpalast im Frühling in Peking
Sommerpalast im Frühling

Aus meinem Reisetagebuch 1991

16.04.1991 Frühling in Peking

„Eine Viertelstunde Frühling ist mehr wert als ein Sack Gold.“ (chinesisches Sprichwort)

Überall sehe ich noch die Spuren des Winters. Das Gras ist gelb und trocken. An schattigen Stellen sind Kanäle und Teiche zugefroren. Der gelbe Staub der Winterstürme scheint auf allem zu liegen.

Houhai Vogelkäfige

Aber überall blüht es schon. In der Innenstadt säumen Mandelbäumchen und Japanische Kirschen die großen Straßen. Die blühen, dass es wie ein Feuerwerk aussieht. Zartes Rosa und Weiß versuchen, das trübe Gelb zu verscheuchen. Im Sommerpalast blühen die Magnolien in verschwenderischer Pracht. Die Trauerweiden in den Parks bekommen als erste Bäume grüne Blätter.

Alte Männer wandern mit ihren Vogelkäfigen in die Parks und hängen sie in die Bäume. Von allen Seiten klingt ein fröhliches Zwitschern. In den Straßen drängen sich die Menschen. Sie genießen die warme Frühlingsluft und gehen einkaufen. Man braucht keine Handschuhe mehr und den Schal kann man auch weglegen. Von Tag zu Tag wird es spürbar grüner und wärmer.

Mit meinen Freunden aus der Transsibirischen Eisenbahn habe ich Zimmer in dem beliebten Qiao Yuan Hotel gefunden. Das liegt zwar ziemlich weit vom Zentrum entfernt im Süden der Stadt. Doch nahebei ist ein Busbahnhof, wo man immer einen Bus oder einen Minibus ins Zentrum findet. Meistens bekommt man da sogar noch einen Sitzplatz. In der Umgebung des Hotels gibt es einige Restaurants, die sich auf die Bedürfnisse der Rucksackreisenden eingestellt haben: Englische Speisekarten, westliches Frühstück, Pommes Frites usw.

Den kenn‘ ich doch!

An einem Abend, als wir gemütlich bei einem Bier in einem der Restaurants sitzen, kommt ein älterer Herr vorbei, der handgemalte Kalligrafien und Bilder auf Seide verkauft. Als er mich sieht, stutzt er kurz und starrt mich an.

Auch ich gucke ganz erstaunt. Dieser Mann hat mir schon 1988, als ich zum ersten Mal in Beijing war, ein paar Kalligrafien verkauft. Er behauptet nun steif und fest, dass er mich nach all den Jahren wiedererkannt hat. Das gibt ein großes Hallo! Ich freue mich, hier in Beijing einen alten Bekannten wiederzusehen. Ich fühle mich gleich wie Zuhause.

Mit Josef, Olaf und Henning im Schlepptau mache ich einige Besichtigungen. Verbotene Stadt, Lama-Tempel, Himmelstempel… Ich bin ganz hingerissen von dieser Stadt. Wenn ich die alten Tempel und Paläste besichtige, fühle ich mich in eine ferne, exotische Märchenwelt versetzt. Ich genieße den Frühling in Peking.

Wie soll es weitergehen?

Das tollste ist die Tatsache, dass ich nicht schon in zwei Wochen an den Schreibtisch zurück muss! Besonders Josef und Olaf sitzen oft mit mir zusammen über der großen Asienkarte. Die ganze Welt scheint nur auf uns zu warten: „Wenn wir schon in der Gegend sind, warum fahren wir nicht noch nach…?!“ Damit werden Umwege von mehreren hundert Kilometern beschrieben.

Obwohl ich eigentlich direkt von Beijing nach Shanghai wollte, entschließe ich mich, mit Josef und Olaf zum Yangzi zu fahren. Weil Xi’an dann auf dem Weg liegt, könnte ich mir noch einmal die berühmte Tonarmee, die mich schon 1987 sehr beeindruckt hatte, ansehen. Die beiden Jungs sind ganz nette Gefährten. Es ist schön, den Moment, an dem ich alleine sein werde, noch ein wenig hinauszuschieben.

Köstliche Peking-Ente bei Freunden!

Gemeinsam Einkaufen

An einem Abend sind wir bei chinesischen Freunden von Josef zum Pekingenten-Essen eingeladen. Damit haben wir die einmalige Gelegenheit, einen chinesischen Haushalt kennen zulernen. Wir treffen uns mit Frau Li an der Bushaltestelle. Sie führt uns erst noch über einen Flohmarkt. Hier kann man alles kaufen: alte Möbel, antikes Porzellan und natürlich auch allen möglichen Trödel.

Frau Li, die übrigens sehr gut Deutsch spricht, erklärt uns, dass viele Botschaftsangestellte hier ihre Möbel kaufen. Das kann ich gut verstehen. Die Preise sind niedrig und die Qualität ist gut. Ich bin froh, dass ich keine Möglichkeit habe, mir solch eine schöne alte Truhe oder den wunderschönen Rosenholzschrank zu kaufen. An den Flohmarkt schließt sich ein Gemüsemarkt an, auf dem Frau Li noch schnell ein wenig Tofu kauft.

Dann gehen wir zur Wohnung von Frau Li und ihrem Mann Gong Ke. Diese liegt in einem relativ neuen Wohnhaus. Die Wohnung hat ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer und ein kleines Kinderzimmer, sowie eine winzige Küche und ein kleines Badezimmer. Das ist für chinesische Verhältnisse eine sehr große Wohnung. Gong Ke ist ein angesehener Professor an der Universität. Auch seine Frau arbeitet dort. Ihr kleiner Sohn ist während der Woche bei den Großeltern untergebracht. Deshalb bekommen wir ihn leider nur auf Fotos zu sehen.

Die Pekingente!

Während Li Wei in der Küche das Essen vorbereitet, zeigt uns Gong Ke im Wohnzimmer voller Stolz einige chinesische Antiquitäten, die er gesammelt hat: kleine alte Figuren. Dabei trinken wir chinesisches Bier aus österreichischen Bierseideln (die beiden haben in Österreich studiert). Gong Ke erklärt, dass er besonders die alte chinesische Volksmusik liebt. Er schiebt auch gleich eine entsprechende Kassette in die Stereoanlage. Die Musik ist wundervoll. Immer wieder gerate ich während des Gesprächs ins Träumen.

Peking Ente
Bild von FuReal auf Pixabay

Li Wei stellt auf einen großen achteckigen Esstisch in der Ecke eine Auswahl an kalten Vorspeisen. Für uns werden zur Feier des Tages westliche Bestecke dazugelegt. Es gibt Tofu, der kalt angerührt ist mit Zwiebeln und Gurken, dazu grüner Seetang, scharfe, in Streifen geschnittene Radieschen und in Tee gekochte Eier. Jedes für sich eine Delikatesse. Dazu schenkt uns Gong Ke immer wieder chinesischen Schnaps ein.

Schließlich kommt der Höhepunkt: die Ente! Die leckeren Fleischstücke mit der knusprigen Haut werden in hauchdünne Pfannkuchen gerollt. Dazu kommt fein geschnittener Lauch und eine braune Soße (Hoisin). Es gibt Unmengen davon. Dazu der Schnaps. Schnell steigt die Stimmung.

Li Wei gibt zu, dass sie die Ente fertig bestellt hat. Aber die wunderbar dünnen Pfannkuchen hat sie selbst gemacht. „Gekaufte sind immer zu dick!“ sagt sie. Zum Nachtisch gibt es Tee und mandschurischen Kuchen. Auch dies ein Zugeständnis an westliche Essensgewohnheiten, denn in China gäbe es zum Schluss des Essens eine Suppe. In absoluter Hochstimmung fahren wir mit dem Bus ins Hotel zurück.

Nach 8 Tagen haben wir genug von Beijing gesehen. Wir haben uns Fahrkarten nach Xi’an besorgt. Also geht es weiter.

Kalligrafie
Rechts die Kalligrafie, die ich 1991 unterwegs in Peking von meinem alten Bekannten erwarb. Und Fragt mich bitte nicht, was es genau bedeutet. ich scheitere schon an dem 2. Zeichen. Der alte Mann sagte damals, dass der Spruch so viel bedeutet wie „Nicht nach vorne zu schauen bedeutet, zurück zu gehen.“

24.04.1991 Mühsames Backpackerleben: Verspätung und Hardsleeper

Gegen 17:00 Uhr soll unser Zug nach Xi’an abfahren. Doch wir müssen lange warten, ehe es endlich soweit ist, denn der Zug hat Verspätung. Da man in China nicht auf dem Bahnsteig wartet sondern in den Wartesälen oder sonst wo auf dem Bahnhof, müssen wir uns ein Plätzchen suchen, an dem es nicht so voll ist und wo es nicht zieht.

Warten im Bahnhof

Wir, das sind Olaf, Josef und ich, finden eine wenig gemütliche Ecke, neben der Treppe zu unserem Bahnsteig. So haben wir auch jederzeit die Anzeige im Auge, für den Fall, dass irgendwann unser Zug aufgerufen wird. Da wir keine Ahnung haben, um wie viel Zeit sich der Zug verspäten wird, können wir uns nicht weit entfernen.

Knapp 3 Wochen unterwegs, schon lerne ich die ungemütlichen Seiten des Traveller-Lebens kennen! Ich setze mich direkt auf den Boden und lehne mich aus Sicherheitsgründen an meinen Rucksack. Der scheint einen recht bequemen Eindruck zu machen, denn schnell ist eine Chinesin da, die sich von der anderen Seite her an meinen Rucksack lehnt. Josef hat seine ISO-Matte ausgebreitet, was anscheinend auch sehr verlockend wirkt. Einige Chinesen setzen sich freudestrahlend zu uns.

Einer von ihnen hat eine starke Alkoholfahne. Dem gefällt besonders meine Armbanduhr, die keine Ziffern hat, nur die Zeiger auf blauem Grund. So etwas hat er noch nicht gesehen! Er fragt in mühsamen Englisch: „How much? How much?“, und lacht mich mit großen Augen erwartungsvoll an. Ich lache zurück und tue so, als ob ich ihn nicht verstehe. Bei passender Gelegenheit stecke ich die Uhr in die Tasche, ohne dass er es merkt.

Ich schreibe in all dem Trubel einen langen Brief an eine Freundin. Damit bin ich schnell Mittelpunkt des Interesses der Chinesen ringsum. Sie finden es faszinierend, wie eine Westlerin so fließend die für sie ganz fremden Schriftzeichen zu Papier bringt. Ich versuche, mich nicht stören zulassen. Mit dem Schreibblock auf den ausgestreckten Beinen ist das ziemlich unbequem.

Die Zeit vergeht nur langsam. Nach ein paar Stunden macht auch das Leute beobachten keinen Spaß mehr. Es zieht, es ist ungemütlich, die Leute nerven: Fröhliches Traveller-Leben!

Die Nachtzugfahrt

Als der Zug endlich kommt, sind wir überrascht. Es ist ein ganz neuer Zug, der auch im Hardsleeper (2. Klasse Liegewagen) hellblaue Tüllgardinen an den Fenstern hat. Die Bettlaken sind weiß und die Decken ganz sauber.

Josef hat leider nur einen Platz im Hardseat-Abteil, kein Bett. Aber auch dort ist alles sehr sauber und neu. Die Sitze haben sogar Polster. Trotzdem ist die Nacht sicher nicht bequem für ihn. Doch Josef ist ja hart im Nehmen.

Ich klettere mühsam in mein oberes Bett, das sich in geradezu schwindelerregender Höhe befindet. Einmal oben, verlasse ich mein Bett bis zum nächsten Morgen nicht mehr. Genüsslich strecke ich meine Beine aus. Dass sie in dieser Höhe etwas über die Kante hinausragen, stört niemand. Ich bin weit weg von allem und schlafe bald ein.

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Wie alles begann

Ulrike

2 Gedanken zu „April 1991 Peking – Wow! Ich bin schon 10 Tage unterwegs!“

  1. Sowas Ähnliches ist mir auch schon mal passiert – das mit dem Wiedererkennen. Da ging mir das Herz auf, aber sowas von! 🙂 Toller Bericht wieder – wenn auch kurz.

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