10.08.1991 Das Ende einer Freundschaft

Zuletzt aktualisiert vor 7 Monaten

Mit Annemarie zum Chirisan-Nationalpark

Freundschaften unterwegs sind etwas ganz besonderes. Zusammen reisen stellt den Menschen vor besondere Herausforderungen. Das enge Zusammensein in kleinen Hotelzimmern, das meistens 24 Stunden am Tag zusammen Erleben, die wenigen Rückzugsmöglichkeiten können schon mal an den Nerven zerren.

Chirisan

Ich bewundere jeden, der es schafft, eine glückliche Beziehung durch eine Monate lange Reise aufrechtzuerhalten. Aber mit einer/einem völlig Fremden? Mit einer zufälligen Urlaubsbekanntschaft? Da muss man sich zusammenraufen, Kompromisse schließen. Manchmal geht es, manchmal nicht. Mit Annemarie in Südkorea ging es auf Dauer nicht. Hier die traurige Geschichte:

Aus meinem Reisetagebuch 1991:

Zusammen reisen?

Schon bei Mr. Kwon war mir klar, dass Annemarie gerne früh aufsteht, während ich lieber etwas länger schlafe. Wir haben auch in vielen Dingen ganz unterschiedliche Ansichten. Sie ist schließlich ungefähr zwanzig Jahre älter als ich. Und dass ich gerne rede, wusste sie auch von Anfang an.

Trotz all dieser Unterschiede schlug sie selbst vor, dass wir ein wenig gemeinsam reisen und uns ein Zimmer teilen könnten. Das kam mir besonders wegen des Geldes entgegen. Ihr Yoga spät abends und morgens nach dem Aufstehen um 6:00 Uhr störte mich nicht.

Erste Anzeichen

Bereits auf einer Wanderung in Kyongju gab es allerdings einen ersten Knacks zwischen uns. Sie fand eine Äußerung von mir unverständlich und zog es vor, anstatt die Sache zu diskutieren, sich schweigend abzuwenden. Damals konnte sie wohl nicht so einfach aus unseren gemeinsamen Plänen aussteigen, denn da waren noch Carsten, Ron und Adinda dabei.

Mittlerweile habe ich erkannt, dass sie niemals selbst Unternehmungen vorschlug, sondern immer nur bei allem mitmachte. So habe ich fast das Gefühl, dass sie sich an mich angehängt hat, um nicht alleine zu reisen. In Puyo gab es außerdem Auseinandersetzungen, weil ich mal einen Tag keine Lust hatte, noch einen Tempel zu besuchen, sondern einfach nur abhängen und in dem Ort bummeln wollte.

Bei der Diskussion, sich für einen Zeitpunkt im nächsten Jahr in Deutschland zu verabreden oder eine gemeinsame Reise mit Carsten, Ron, Adinda nach Südamerika zu planen, zog ich mich zurück. Ich wusste einfach nicht, was im nächsten Jahr sein würde und wollte keine leeren Versprechungen geben.

Das stieß bei allen auf Kritik und man versuchte, mich unter Druck zu setzen. Hinzu kam, dass Annemarie sicher von Anfang an das Eine oder Andere an mir nicht gefiel. Wir waren eben sehr verschieden. Jetzt ist es ihr zuviel geworden.

Der Vorfall mit dem Wecker

Die erste Gelegenheit nutzt sie nun, um einen Streit zu provozieren: Ich hatte ihr vor ein paar Tagen erzählt, dass ich es schrecklich nervtötend finde, wenn Leute ihre Uhr so einstellen, dass sie jede Stunde einen Piepston von sich gibt. Wenn ich mit so jemandem im Schlafsaal bin (so wie es mir in Japan passierte), kann ich nur mit Mühe einschlafen. Nun hat sich Annemarie Batterien für ihren kleinen Wecker gekauft und ihn gestern Abend so eingestellt, dass er jede Stunde piepst.

Als ich sie bitte, das Geräusch abzustellen, meint sie, ich wäre sowieso zu empfindlich und das sei eine Methode, mit der sie mich an derartige Störungen gewöhnen wolle. Ich weiss gar nicht, ob sie Witze macht, und antworte, dass ich das gar nicht lustig fände, mich niemand erziehen müsse und sie doch bitte den Wecker ausstellen möchte.

Als sie keine Anstalten dazu macht, meine ich, dass ich dann wohl demnächst ein eigenes Zimmer nehmen müsse. Das sage ich mit einem Lachen, um dem Ganzen die Schärfe zu nehmen. Da kommt sie mit einer schon alten Sache: sie (also auch die anderen) hätten ja auch mein ständiges Reden ertragen müssen. Das ist mir denn doch zu albern, denn das ist gar nicht mehr aktuell. Ärgerlich antworte ich: „Ich kann auch gut alleine reisen!“ und gehe ins Bad.

Als ich zurückkomme, mache sie ihre Yoga-Übungen. Das ist eine gute Methode, weiteren Diskussionen aus dem Weg zu gehen. Ich gehe also zu Bett und wache natürlich nach kurzer Zeit vom Piepsen des Weckers auf. Annemarie stellt sich schlafend, und so mache ich das Licht aus, das sie angelassen hatte. Kurz darauf merke ich, dass sie den Wecker ausstellt. Hätte das nicht gleich sein können? Was sollte dieser dumme Streit!

Frostige Fahrt zum Chirisan-Nationalpark

Heute morgen geht dann der „kalte Krieg“ weiter: Annemarie macht Wasser heiß für Kaffee – aber nur für sich. Ich bemühe mich um ein paar nette Worte, um die Atmosphäre zu entschärfen. Ich bekomme nur einsilbige Antworten. Da wir schon lange vorher besprochen hatten, dass wir heute nach Kurye weiterfahren würden, und ich da sowieso hin will, packe ich schnell meinen Rucksack.

Ohne ein Wort miteinander zu wechseln, gehen wir zum Busbahnhof. Sie kauft ihr Ticket nach Chonju – ich auch. Im Bus haben wir keine gemeinsamen Sitzplätze, was aber eher daran liegt, dass der Bus ziemlich voll ist.

Beim Umsteigen in Chonju warte ich darauf, dass sie mal etwas sagt. Sie weicht mir aus und gibt mir leider keine Gelegenheit zu einem Gespräch. Eigentlich überlege ich schon, ob ich überhaupt mit ihr weiterfahren soll. Aber mein nächstes Ziel ist nun mal der Chirisan-Nationalpark, wo ich auch von Anfang an hin wollte. Bis nach Namwon, wo wir noch einmal umsteigen müssen, ist ein Platz neben mir frei. Sie zieht es aber vor, ein paar Reihen vor mir Platz zu nehmen.

Auf der letzten Strecke bis nach Kurye am Chirisan-Nationalpark muss sie dann neben mir sitzen, weil keine anderen Plätze frei sind. Da habe ich es aber schon aufgegeben, mit ihr zu reden. Trotzdem frage ich sie, ob wir ein gemeinsames Zimmer nehmen wollen. Sie wirkt ganz erstaunt. Schließlich hätte ich ja gesagt, dass ich gerne ein Einzelzimmer haben möchte. Na, dann eben nicht!

Chirisan-Nationalpark – getrennte Wege

Gleich nachdem wir unsere Zimmer bezogen haben, steht sie aber schon vor mir und will mit mir spazieren gehen. Ob sie geglaubt hat, dass ich nicht mitkommen werde? Ich bin ganz erfreut, dass sich doch noch eine Gelegenheit zu einem Gespräch bietet, und begleite sie gerne. Doch es herrscht immer noch eine frostige Stimmung zwischen uns, ein Gespräch will nicht in Gang kommen. Also verabschiede ich mich unter einem Vorwand und spaziere alleine weiter.

Abends wird mein Angebot, dass ich ihr Nescafé und Brot fürs Frühstück abgeben möchte, nicht angenommen. Sie betont, dass sie ganz früh zum Hwaom Sa-Tempel gehen möchte. Plötzlich stört es sie enorm, dass ich immer erst so gegen acht Uhr aufbreche.

Absurdes Theater

Wenn ich nun daran denke, dass wir mit einer Stunde Unterschied getrennt im Chirisan-Nationalpark wandern, kommt mir die Absurdität dieses kleinlichen Theaters zu Bewusstsein. Ich muss mir das nicht antun und beschließe, in ein paar Tagen alleine weiterzureisen. Ich verschwende viel Zeit damit, über die Vorfälle nachzudenken und zu überlegen, was ich wohl falsch gemacht habe. Das Ganze ist traurig und so unnötig.

Auch die Pension, in der wir wohnen, trägt nicht dazu bei, dass in mir der Wunsch wach wird, mich am Chirisan-Nationalpark länger aufhalten zu wollen. Es sind sehr viele junge Koreaner hier, die sich nachts gerne noch lange und laut unterhalten. In einem Zimmer spielen alte Männer Karten und trinken Schnaps. Dabei läuft natürlich ununterbrochen der Fernseher und die Tür steht offen. In einem Zimmer verschwindet ein Mann mit einer stark geschminkten Frau.

Aus der Dusche kommt nur kaltes Wasser und die Toilette ist auch nicht die sauberste. Draußen regnet es. Die Ameisen scheinen mich besonders ins Herz geschlossen zu haben. Wahrscheinlich haben sie schon lange vorher gewusst, dass ich komme, denn mein Bett liegt wieder mitten in einer Ameisenstraße.

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Wie alles begann

Ulrike

10 Gedanken zu „10.08.1991 Das Ende einer Freundschaft“

  1. Danke für Deine Geschichte! Manchmal scheinen solche Mitreisende einem die ganze Energie zu rauben. Wenn ich mal mit jemandem zusammenreise, dann stimme ich gleich am Anfang Regeln ab. Zum Beispiel, dass jeder auch mal alleine unterwegs sein kann. Oder dass man mal an einem Tag das macht, was der eine will, und am nächsten das, was der andere will. Einzelzimmer ziehe ich vor. Heute komme ich gar nicht mehr auf die Idee, jemanden zu fragen, ob er/sie mit mir zusammen reisen möchte. LG Ulrike

  2. Oh, wie bekannt mir das vorkommt, vor allem die Sache mit dem Imbushnichtnebeneinandersitzen… Auf Reisen schnellt sich schnell heraus, ob man mit jemandem wirklich kann. Auch bei mir ist eine Freundschaft an einer Reise zerbrochen, es war allerdings keine Reisebekanntschaft, sondern so eine Art Long-Distance-Bekanntschaft – er war Australier, wir kannten uns übers Internet, hatten uns aber auch in Deutschland schon persönlich getroffen. Auf der Reise wurde der sonst so nette Typ irgendwann unerträglich, er schien alles falsch zu verstehen, was ich sagen wollte (ich bin der Meinung, dass mein Englisch damals nicht soooo schlecht war…) und wollte aus Prinzip irgendwann grundsätzlich andere Dinge machen als ich – und meine Reaktion darauf kam gar nicht gut an. Ich gehöre halt zu den Menschen, die es nicht schlimm finden, wenn man sich mal für 2 Stunden trennt, aber er sah das anders… Wir haben dann irgendwann darüber geredet und den Rest der Reise noch irgendwie geschafft, weil wir auch die Rückreise gemeinsam gebucht hatten, aber anschließend habe ich den Kontakt sofort abgebrochen. Eine gemeinsame Freundin konnte überhaupt nicht verstehen, wieso, bis er dann ein paar Monate später bei ihr zu Besuch war und es ihr genauso erging… 😉 Im Nachhinein hätte ich damals darauf bestehen sollen, dass wir getrennt weiterreisen, er hat mir nämlich wirklich den Urlaub verdorben. Aber so hat das Ganze auch was Gutes – wieder was dazugelernt!
    Die Sache mit dem Wecker ist echt pure Boshaftigkeit…

  3. Ja, es war schwierig. Mit Männern war das Zusammenreisen meistens einfacher. Auf Gruppenreisen hab ich immer Leute kennen gelernt, mit denen ich noch Jahr lang befreundet war.

  4. Traurig, wenn jemand so unflexibel ist. Ich habe mich auf allen Reisen mit meinen Zimmerpartnerinnen, die jeweils fremd waren, bis zum Schluss extrem gut verstanden. Freundschaften sind nie entstanden. Dafür mit anderen aus den Reisegruppen. Und diese Freundschaften halten glücklicherweise schon seit Jahren und über die Distanz.

    Bei den Zimmerpartnerinnen galt für mich immer: Man redet und einigt sich auf die Basics und pflegt einen netten und offenen Umgang. Wenn die andere auch so denkt, dann klappt es eigentlich immer gut. Weil dann kann man über Probleme auch reden.

    Und bei den Freundschaften die entstanden, hatte ich das Glück, auf richtige Freundinnen zu treffen, d.h. Leute, die mich so nehmen, wie ich bin. Die mich nicht kritisieren und nicht ändern wollen. Und umgekehrt geht es mir mit ihnen auch so.

  5. Tja, ich sehe das so, dass es für einige praktische Aspekte des Reisens praktisch ist zu mehreren unterwegs zu sein zB gibt es immer jemanden,der/die aufs Gepäck aufpasst während man mit etwas beschäftigt ist wobei das Gepäck lästig ist, oder wenn es irgendwelche Probleme gibt, ist es fein wenn man jemanden hat, der/die einem hilft aber sonst ist das Alleinereisen doch eigentlich die Königsform des Reisens ! Man taucht ein in die andere Kultur, man erlebt Situationen, die man in Begleitung nie erleben würde, die Eindrücke sind stärker.Gut, man hat niemanden um sich auszutauschen, aber man muss auch mit niemandem Kompromisse schließen.

    Wie nicht zu übersehen ist, reise ich auch gerne alleine wobei ich zwischen Reisen und Urlaub unterscheide 🙂

  6. Ne, so ganz Schnee von gestern ist es eben nicht. Denn dieses und andere ähnliche Erlebnisse haben mich zu der Reisenden gemacht, die ich heute bin: Am liebsten alleine reisend. Ich bin in den letzten Jahren entweder alleine oder mit einer organisierten Gruppenreise unterwegs gewesen. Und ich freue mich wie Bolle darauf, im Winter drei (!) Wochen alleine in China unterwegs sein zu können. Erst durch diesen Artikel ist mir aufgegangen, dass ich noch nicht einmal danach suche, einen Reisepartner zu finden.

  7. Das kann ich natürlich nicht beurteilen, aber Felexibilität muss schon von beiden Seiten kommen. Und wenn man sich an jemanden anhängt, hat das halt zwei Seiten: einerseits muss man sich selbst bei Planung und Organisation nicht anstrengen andererseits wäre es angemessen der Person gegenüber, die das alles gemacht hat einige Konzessionen zu machen.
    Auf jeden Fall ist das ja Schnee von vorgestern …

Ich freue mich auf Deinen Kommentar!