12.10.1991 Ferien im tropischen Xishuangbanna

Zuletzt aktualisiert vor 7 Monaten

Wenn ich heute in meinen alten Reiseführern blättere, frage ich mich, was mich in diese abgelegene Gegend geführt hat. Doch, da war was! Diese alte Idee, dass es dort wunderschön sein soll. Als ich vor meiner ersten Reise nach China mit Doris Knop sprach, die damals einen der ersten deutschsprachigen Reiseführer für China geschrieben hatte, erzählte sie mir ausführlich von Xishuangbanna. Sie riet mir, dorthin zu reisen. Damals schien mir das für meine erste China-Reise doch zu abenteuerlich.

Diesmal aber kam es mir vor wie ein leicht erreichbares Paradies.

Xishuangbanna, offiziell
Autonomer Bezirk Xishuangbanna der Dai (西 双 版 纳 傣 族 自 治 州,  Xīshuāngbǎnnà Dǎizú zìzhìzhōu; Tai Lü: Sipsongpanna, Aussprache: [sípsɔ́ngpǎnnǎ])

Xishuangbanna liegt im äußersten Süden der Provinz Yunnan. Das Klima ist tropisch warm. In diesem Gebiet, das unmittelbar an Myanmar und Laos grenzt, leben viele Völker, auf die man auch auf einer Reise durch Thailand oder Myanmar treffen kann. Nicht von ungefähr heißt die größte Ethnie hier Dai. Sie kleiden sich ähnlich und auch das Essen ist eindeutig Thailändisch.

Der Mekong
Der Mekong

Backpacker, die ich in Kunming traf, schwärmten von Palmen, bunten Märkten und einem entspannten Hotel am Mekong. Mir ging es gerade mal wieder gesundheitlich nicht so gut (siehe auch: Erdbeertage). Das Wetter in Kunming war trübe gewesen. Der schreckliche Schlafsaal trug nicht zu einer positiven Stimmung bei. Deshalb erschien es mir sinnvoll, ein paar Tage „Urlaub“ zu machen. Abhängen unter Palmen, lesen, Tagebuch schreiben, Fahrradausflüge und mehr. Das war es!

Die Nähe zu den Grenzregionen und die Lage am Mekong waren damals nicht ohne. Noch bis in die 1980er Jahre standen auf der Brücke über den Mekong Soldaten, die jeden erschossen, der einfach mal so gucken wollte.

Aus meinem Reisetagebuch 1991

Xishuangbanna 1991

Der Flug von Kunming nach Jinghong, Xishuangbanna

Endlich ist es soweit! Ich fahre mit dem Bus hinaus zum Flughafen von Kunming, um nach Jinghong zu fliegen. Endlich werde ich ein wenig Urlaub vom Reisen machen! Natürlich scheint heute die Sonne in Kunming.

Der Flughafen von Kunming ist alles andere als das, was ich von einer Millionenstadt und Provinzhauptstadt erwartet habe. Ein relativ kleines altes Gebäude mit zwei Warteräumen wie auf einem Bahnhof. Das Gepäck gebe ich schon draußen vor dem Gebäude ab. Es dauert eine Weile, bis ich weiß, was ich zu tun habe. Ich stehe zögernd herum und beobachte die Leute: Was tun die? Kein Mensch kümmert sich um mich. Es gibt kaum englische Schilder. Aber da es sich um einen Inlandsflug handelt, sind nur wenige Formalitäten zu bewältigen.

Schließlich stehe ich in dem breiten Flur vor der Tür, durch die es offensichtlich zur Rollbahn geht. Zwei nette Stewardessen stehen zusammen mit zwei Soldaten davor und passen auf, dass niemand vorzeitig durch die Tür geht. Die Maschine nach Jinghong steht schon bereit. Endlich werden wir durchgelassen. Das kleine Häufchen Menschen geht zu Fuß zum Flugzeug, das ungefähr 120 Plätze hat, aber nicht voll ist. Das Flugzeug sieht ganz ordentlich aus, ist wohl relativ neu. Ich bin ziemlich nervös, denn die CAAC, die chinesische Fluggesellschaft, hat nicht gerade den besten Ruf. (1991!)

Die Maschine hebt ab, freundliche Stewardessen verteilen Bonbons. Dann gibt es sogar eine kleine Mahlzeit und ein paar Souvenirs als Andenken an den Flug. Na, das hat schon gut geklappt! Jetzt habe ich Zeit, darüber nachzudenken, was nach meiner Landung passiert. Wie komme ich vom Flughafen in die Stadt? Werde ich in dem Jinghong-Hotel ein preiswertes Zimmer bekommen?

Tropisches Jinghong in Xishuangbanna

Ich habe mir mal wieder viel zu viel Gedanken gemacht. Nach einer sanften Landung in Jinghong finde ich gleich einen Bus, der bis zum Jinghong-Hotel fährt. Dort bekomme ich sofort ein Bett in einem Vierbett-Zimmer, das fast direkt am Mekong-Fluss liegt. …

Das Jinghong Hotel besteht aus vielen kleinen zweistöckigen Häusern, in denen sich jeweils so circa 10 Zimmer befinden. Es gibt auch einige idyllische Holzhäuser, die liegen aber ziemlich weit vom Eingang entfernt. Um die Häuser herum erstreckt sich ein üppiger Tropengarten mit blühenden Frangipani-Bäumen, Palmen, Bougainvilleen und anderen Pflanzen. Vor unserem Zimmer ist eine kleine Terrasse, über die wir auch unser Bad erreichen. Von dort kann man die gelben Fluten des Mekong sehen und auf der anderen Seite des Flusses Hügel, die mit dunkelgrünen Kautschuk-Bäumen bewachsen sind.

Die Luft ist warm und feucht, getränkt vom Duft der Blüten. An der Zimmerdecke tummeln sich blasse Geckos, die winzigen Eidechsen, die uns die Mücken wegfressen. Über den Betten hängen weiße Moskitonetze wie Baldachine. Ich bin etwas besorgt, weil ich keine Malaria-Tabletten bei mir habe, jedenfalls nicht als Prophylaxe. Für den Notfall habe ich schon etwas dabei. Aber ich schiebe diese Gedanken schnell beiseite und freue mich einfach an der Wärme und der blühenden Natur um mich herum.

Menghun Schweinefamilie

Natürlich ist es mir am ersten Tag in diesem tropischen Paradies nicht möglich, einfach nur so im Hotel zu sitzen und mich auszuruhen. Ich miete mir ein Fahrrad und sehe mich im Ort um. Der eigentliche Ort ist nicht besonders sehenswert, aber sobald ich den Ortsrand erreiche, wird es bunt und exotisch. In großen Holzhäusern, die auf Stelzen gebaut sind, wohnen die Dai, die hier das Straßenbild prägen. Die Dai sind eng verwandt mit den Thailändern. Die Frauen tragen Sarongs und haben ihre langen dunklen Haare in Knoten geflochten. Alles wirkt hier mehr wie Thailand als wie China. Es gibt schöne offene Tempel mit gelbgekleideten Mönchen und weite Parks mit tropischen Pflanzen und Bäumen.

Neue Freundinnnen

An diesem Abend gehe ich mit Kathy, der Schwedin aus meinem Zimmer, und Laura, der Kanadierin aus Kunming, essen. Das Restaurant liegt direkt gegenüber vom Hotel und ist auf westliche Rucksackreisende spezialisiert Es gibt Bratkartoffeln und Banana Pancake. Wir kommen schnell ins Gespräch mit einem jungen Engländer, der einen Ausflug mit dem Fahrrad gemacht hat, von dem er nun in höchsten Tönen schwärmt. Da liegt drei Stunden von hier ein Dorf mitten im Regenwald an einem Wasserfall, mit netten Leuten und der Möglichkeit, dort zu übernachten. Das merke ich mir schon mal vor!

Kathy und Laura beklagen sich, dass ihr Englisch von den freundlichen chinesischen Kellnerinnen nicht verstanden wird. Ihre Bestellungen müssen sie drei-, viermal wiederholen, bis sie erhalten, was sie wollen. Das legen sie als Unhöflichkeit und Unvermögen der Chinesen aus. Ich beobachte sie eine Weile und merke schnell, dass sie ihre Bestellungen viel zu umständlich formulieren. Die Kellnerinnen, die sicher nur ein paar Brocken Englisch sprechen, können die langen Sätze mit ganz viel „please“ und “could you please“ gar nicht verstehen. Ich mit meinem „ein Bier!“ komme da eher durch als Laura mit ihrem „waiter, could you please bring me a bottle of beer!“

Ich genieße das leckere Essen und das kühle Bier. In diesem Ort will ich vorerst nur ausruhen. Kathy, die nach mir angekommen ist, kann das nicht begreifen, dass ich den ganzen Tag auf der Terrasse sitze und lese und maximal zum Restaurant gehe. Man könnte doch dieses oder jenes unternehmen, Fahrräder mieten… Man kann doch so einen Tag nicht mit abhängen vertun! Ich weise sie geduldig auf die vielen Möglichkeiten hin, die sie hat, alleine etwas zu besichtigen. Das will sie aber nicht. Ich frage mich, warum sie dann aber alleine unterwegs ist.

Ich habe mir einen kleinen bunten Emaille-Teller gekauft, in den ich Wasser und einige weiße Frangipani-Blüten getan habe. Es ist schön, hier in einem gemütlichen Korbsessel zu sitzen, die tropischen Blüten zu sehen, den schweren Duft der Pflanzen einzuatmen und einfach Urlaub zu haben. Ich gebe mich ganz dem süßen Nichtstun hin. Xishuangbanna erscheint mir wie ein tropisches Paradies.

Abends freue ich mich, wenn ich mit Kathy und Laura zusammen Essen gehe. Im Dorf der Dai am Rande der Stadt gibt es etliche Restaurants, die die Spezialitäten der Gegend anbieten: braunen Reis, Fleischklösschen mit Zitronengras, Hühnercurry. Natürlich schmeckt das alles ganz anders als chinesisches Essen. Es ist so exotisch, dass ich wehmütig daran denke, dass ich wahrscheinlich z.B. braunen Reis nie wieder in meinem Leben essen werde. (Anm.: Heute kann man braunen Reis im Asia-Laden kaufen 😉 ! )

In diese Zeit fällt eine Begebenheit, die ich schon beschrieben habe: Von der Angst unterwegs – John und die Drogen

Die beiden deutschen Mädchen reisen ab. Jetzt haben Kathy und ich das Zimmer für uns.

Das Dorf am Wasserfall

Mir geht es wieder einigermaßen gut, und so verabreden Kathy und ich uns, zu dem Dorf beim Wasserfall zu fahren. Ich bin dafür, dass wir möglichst früh aufbrechen, so dass wir die Mittagshitze vermeiden. Doch Kathy ist keine Frühaufsteherin. Erst gegen 9:30 Uhr fahren wir mit den gemieteten Fahrrädern los.

Nach ungefähr 1 Stunde müssen wir die asphaltierte Straße verlassen und auf einem Feldweg weiterfahren. Da es nachts geregnet hat, ist der Weg aufgeweicht und mit tiefen Pfützen versehen. Der zähe rote Lehm klebt an den Speichen fest. Das Fahren wird immer mühsamer. Außerdem gibt es viele Steigungen, wo wir die Räder schieben müssen. Kathy scheint nicht sehr sportlich zu sein und bietet mir willkommene Möglichkeiten, auszuruhen und zu schieben, ohne meine eigenen untrainierten Muskel zu offenbaren.

Dadurch geraten wir in die brennende Mittagssonne. Ich habe kein Problem damit. Ich habe mir ein Kopftuch umgebunden und Sonnencreme aufgelegt. Aber Kathy hat bald keine Lust mehr. „Dann fahr doch zurück!“ sage ich zu ihr, als ich merke, dass es gar nicht mehr geht. Wir haben mittlerweile bestimmt mehr als die Hälfte der Strecke geschafft. Ich freue mich schon auf das Dorf. Als Kathy mit Bitten und Versprechungen versucht, mich dazu zu bringen, mit ihr zusammen zurückzufahren, gebe ich nicht nach. Zum Schluss beschimpft sie mich. Ich finde es schade, dass ich alleine weiterfahren muss, doch andererseits will ich weiter und bin nicht bereit, auf halbem Weg aufzugeben.

Jinghong Weg Xishuangbanna

Alleine durch die Berge

Also quäle ich mich alleine die Berge rauf und runter. Der feine Lehm haftet in immer größer werdenden Klumpen an meinem Fahrrad und lässt mich kaum noch vorwärts kommen. Die Landschaft ist wunderschön. Gegen das kräftige Rot der Erde wirken die Kautschukbäume und der Reis besonders grün. Die Leute, die auf den Feldern arbeiten oder mir entgegen kommen, lachen mich strahlend an. Ich fühle mich wie alleine auf einem anderen Planet. Ein paar mal höre ich eine Maschine tuckern. Vögel zwitschern und der Wind flüstert in den Blättern der Bäume. Langsam und geduldig schiebe ich mein Fahrrad Schritt für Schritt vorwärts. Über mir glüht die Sonne am blauen Himmel. Es wird schwül. Mir rinnt der Schweiß in Strömen von der Stirn.

Endlich erreiche ich mein Ziel: das Dorf. Zumindest halte ich es dafür, denn hier ist die Straße zuende. Ich bin ganz froh, denn am Horizont türmen sich mittlerweile dunkle Gewitterwolken. Das Dorf besteht aus großen Holzhäusern. Auf den schlammigen Wegen scharren Hühner und schwarze Schweine im Dreck. Gleich hinter dem Dorf fangen die mit Regenwald bewachsenen Berge an.

Keine Ruhe im Dorf

Schnell hat sich die Kunde von der fremden Besucherin rumgesprochen. Viele barfüssige Kinder scharen sich um mich und lachen mich an. Die Erwachsenen sind wohl noch auf den Feldern bei der Arbeit. Gleich im ersten Haus befindet sich ein kleiner Laden, der vor allem Bonbons und Waschmittel verkauft. Ob hier jemand Englisch spricht? Natürlich nicht! Wie mache ich mich nur verständlich? Ich versuche es mit Gesten und meinem rudimentären Chinesisch. Aber Chinesisch spricht hier anscheinend auch niemand. Trotzdem versteht man mich nach einer kurzen Weile.

Ein kleiner Junge führt mich lachend und erzählend zu einem der großen Häuser. Über eine Treppe erreiche ich die Veranda. Eine freundliche junge Frau macht mir klar – auch mit Gesten und ein paar Worten Englisch -, dass ich hier übernachten kann und dass Essen und Schlafen nur 10 Yuan kosten, ungefähr 2 Mark.

Sie schaut besorgt zum Himmel. Als ich versuche, sie zu fragen, wie ich zum Wasserfall komme, schüttelt sie mit dem Kopf. Der erste Donner grollt um die Berge, ein Blitz zuckt. Ich sollte wohl besser nicht zum Wasserfall gehen! Ich setze mich resigniert auf eine Bank, fange an, in meinem Tagebuch zu schreiben. Da fallen auch schon die ersten dicken Tropfen. Draußen prasselt ein tropischer Regenguss mit all seiner Kraft nieder. Ich sitze gemütlich im Trockenen und schaue den kleinen Kindern der Familie beim Spielen zu. In einem Korb, der an zwei Seilen hängt, liegt ein Baby. Jedes Mal, wenn es anfängt zu weinen, schaukele ich es. Die Frau geht ihren Aufgaben nach, verschwindet manchmal, kommt dann mit Gemüse zurück, das sie säubert und klein schneidet. Manchmal wirft sie mir einen verwunderten Blick zu. Ich sitze wie festgewachsen auf der Veranda, fühle mich schlapp und ein wenig krank.

Als der Regen etwas nachlässt, gehe ich ein wenig im Dorf spazieren. Ich finde die örtliche Toilette, die ich hier nun besser nicht beschreibe. Immer bin ich von einer Horde kleiner Kinder umgeben, die mich lachend und schreiend verfolgt.

Die Dämmerung setzt tropisch früh ein. Gegen 6 Uhr nachmittags ist es schon dunkel. Ich bekomme ein schmackhaftes Essen vorgesetzt. Eine Glühbirne erleuchtet die Veranda. Die Mücken summen. Irgendwann wird mir das alles langweilig. Ich bin auch noch ganz erschöpft von der Fahrt bzw. Schieberei. Also gehe ich früh ins Bett. In dem großen, einzigen Raum des Hauses stehen mehrere massive Betten. Für mich ist eines davon zurechtgemacht. Anscheinend ist es das Bett des fast erwachsenen Sohnes, der nun auf einem Sofa schläft. In Ermangelung anderer Beschäftigungen schlafe ich schnell ein.

Rückfahrt über rotschlammige Wege

Am nächsten Morgen ist mit der Morgendämmerung die Nacht vorbei. Meine Wirtsleute stehen auf und erwarten auch von mir, dass ich mich aufmache. Unter dem Haus putzte ich mir die Zähne mit dem Wasser, das ich in einer Flasche bei mir habe. Ich bekomme noch ein chinesisches Frühstück bestehend aus Reissuppe, dann muss ich erneut diese schreckliche Toilette aufsuchen. Schon mal eine Toilette erlebt, die man hört (wegen der Tierchen) bevor man sie riecht???

Nachdem ich bezahlt habe und mich von meinen netten Wirtsleuten verabschiedet habe, fahre ich mit meinem schmutzverkrusteten Fahrrad zurück. Die Sonne scheint. Ich bin früh genug losgefahren, um nicht in die Hitze zu kommen. Ich genieße die Fahrt, den leichten Wind und winke jedem fröhlich zu, der mir begegnet. Der Weg scheint nun meistens bergab zu führen. Ich wundere mich, dass der Hinweg gestern so schwierig war – so viele Hügel gibt es gar nicht, wie ich sie gestern empfunden hatte!

Am späten Vormittag bin ich zurück im Hotel. Ich schiebe das Fahrrad schnell und vorsichtig an der Rezeption vorbei. Es sieht einfach schrecklich aus. Auch meine Jeans ist über und über mit dem roten Lehm bedeckt. Also ist jetzt erst mal Putzen angesagt! Das Fahrrad übergieße ich mit ein paar Schüsseln Wasser, dann ist es wieder ok. Meine Jeans muss ich erst mal einweichen. Macht nichts! Kathy treffe ich auch. Sie ist nicht sehr begeistert von meinen euphorischen Berichten.

Das Foto: Ein Affront für Kathy

Am nächsten Tag fahren wir aber trotzdem gemeinsam mit dem Fahrrad zu einem Park in der Nähe. Hier kann man wunderbar spazieren gehen und auch einen buddhistischen Tempel besuchen. An einer Pagode treffen wir zwei chinesische Männer, die uns fragen, ob sie ein Foto mit mir machen können. Ihr Englisch ist nicht besonders gut. Ich verstehe sie trotzdem und lehne freundlich aber bestimmt ab. Kathy ist ganz verwundert, dass ich mich nicht fotografieren lassen will. Sie bietet an, dass die Chinesen sie mit aufs Foto nehmen. Sie ist sehr hübsch und schlank. Aber die Chinesen verärgern sie, indem sie darauf beharren, mich mit aufs Foto zu wollen. Ich gebe nach, damit wir endlich weiter kommen, und stelle mich zu ihnen.

Menghun Kleine Mönche

Kathy ist eingeschnappt, weil sie sich für attraktiver als mich hält und gar nicht versteht, warum die Chinesen ausgerechnet mich auf dem Foto haben wollen. Ich versuche ihr zu erklären, dass ich für die Chinesen etwas Besonderes bin, da ich in ihren Augen ungewöhnlich groß und dick bin. Weil ich mich nicht als „Monster“ neben die Chinesen stellen mag, damit sie später damit angeben können, hatte ich das Foto abgelehnt. Kathy ist nicht wirklich besänftigt. Das bringt einen weiteren Missklang in unsere Beziehung.

Abends sitzen wir mit Laura beim Essen zusammen. Kathy und Laura schütten sich wieder einmal gegenseitig ihr Herz aus über die schrecklichen Chinesen, die ihr Englisch nicht verstehen und die immer unfreundlich seien. Mir geht ihr Gejammer ziemlich auf die Nerven. Klar, ich habe auch manchmal die Nase voll von den Chinesen. Aber so lange ich ruhig und freundlich bleibe, sind sie auch freundlich zu mir. Mancher Eindruck, dass die Chinesen unfreundlich seien, entsteht dadurch, dass man die Sprache des anderen nicht versteht.

Ausflug zum exotischen Markt in Menghun

Trotz unserer Differenzen steigen Kathy und ich am nächsten Tag in den Ausflugs-Bus, der uns zum Sonntagsmarkt in Menghun bringen wird. Wir haben den Ausflug schon vor ein paar Tagen im Hotel gebucht. Ich steige als erste ein und setze mich ans Fenster. Kathy nimmt mit grimmiger Miene neben mir Platz. Während des gesamten Ausflugs spricht sie kein Wort mit mir. Schade! Im Bus sind außer uns noch eine Handvoll Westler und eine Menge chinesischer Touristen.

Die Fahrt geht zu einem kleinen Dorf, in dem sonntags die Bauern aus der Umgebung zum Markt zusammen kommen. Wir sehen die unterschiedlichsten Trachten, junge Mönche in ihren gelben Roben, Frauen mit bestickten Tragekörben auf dem Rücken. Das Leben und Treiben auf dem Markt ist bunt und faszinierend. Doch mich erschüttert die Armut, die in dem geringen Angebot und den abgetragenen Kleidern der Menschen deutlich wird.

Damenglong Gans

Ein Amerikaner, der seine Gitarre zu dem Ausflug mitgebracht hat, spielt mitten auf dem Markt einige Volkslieder. Das ist die Attraktion! Schnell hat sich eine große Menschenmenge um uns versammelt. Dann müssen wir leider schon zurückfahren. Wir besichtigen noch einen kleinen Tempel mit wunderschönen volkstümlichen Malereien, die das Leben Buddhas darstellen. Mittagspause wird in einem recht hässlichen Ort gemacht. Aber auch dort ist Markt mit Menschen in ihren farbenfrohen Trachten. Kathy hält sich von mir fern, ist ganz früh zurück am Bus, damit sie endlich den Fensterplatz hat, und steigt auch nicht aus, als der Bus noch einmal hält.

Die Besichtigung eines Dorfes der Akka, das wir nur mit einem Bambusfloß über einen Fluss erreichen, ist ein absoluter Höhepunkt! Die typische Tracht besteht aus dunklen Röcken und mit Silbermünzen bestickten Hauben und Schürzen. Diese Tracht habe ich bei den Akka in Thailand gesehen. Deshalb benutze ich hier auch diesen Namen. Ich weiß nicht, wie diese Minderheit bei den Chinesen heißt. Schnell hat sich eine Gruppe gefunden, die uns ihre Musik und Volkstänze vorführt. Alle sind wir völlig überwältigt von diesem Erlebnis. Kathy hat das leider nicht mitbekommen, weil sie störrisch im heißen Bus sitzen geblieben ist.

Sie hat sich entschlossen, nicht mehr mit mir zu sprechen. Das macht mir nichts, ich habe schon wieder andere Leute kennen gelernt. Außerdem lege ich einen Organisations- und Ruhetag ein. Ich muss unbedingt Wäsche waschen. Leider trocknet die Wäsche bei der hohen Luftfeuchtigkeit nicht so schnell, wie ich es gerne möchte. Außerdem regnet es diesmal den ganzen Tag lang. Doch ich kann meine Gänge zur Post und zur Bank erledigen.

Menghun BaoziWanderung durch die „duftenden“ Kautschuk-Plantagen.

Nach zwei Ruhetagen gehe ich mit Fay, einer amerikanischen Chinesin, in den ausgedehnten Kautschukplantagen spazieren. Die dunklen Bäume werfen einen angenehmen Schatten auf die schlammigen roten Wege. Tiefe Kerben sind in die Stämme geschnitten, durch die der Kautschuksaft in kleine Gefäße läuft, die an den Bäumen hängen. Der Geruch des Saftes liegt überall in der Luft. Ich will nicht sagen, dass es stinkt, aber der Geruch ist mir nicht angenehm. Wir gehen über die berühmte Brücke über den Mekong-Fluss. Das Wachhäuschen steht noch da und verfällt zusehends. In meinem Reiseführer steht, dass es noch nicht lange her ist, dass man als Ausländer beim Versuch, diese strategisch wichtige Brücke zu überqueren, sofort erschossen wurde.

An der Grenze zu Burma

Fay überredet mich und noch zwei Deutsche, nach Damenglong zu fahren, wo es einen beeindruckenden Sonntags-Markt geben soll. Da die Busfahrt ziemlich lange dauert, nehmen wir Sachen zum Übernachten mit. Das meiste lasse ich aber in meinem Zimmer, und vertraue darauf, dass sich niemand an meinen Habseligkeiten vergreift.

Damenglong liegt fast an der Grenze zu Burma. Nur einige alte mit kommunistischen Symbolen versehene Gebäude erinnern daran, dass wir uns noch in China befinden. Die einzige kurze asphaltierte Straße des Ortes führt zu dem Hotel, in dem wir übernachten. Das Gebäude besteht aus ein paar Zimmern, die Toilette ist einige Meter dahinter an einem kleinen Teich, in den auch die Abwässer laufen.

Menghun Markt Frauen Xishuangbanna

Die Straße bietet den Bauern eine optimale Möglichkeit, ihren Reis zum Trocknen auszubreiten. Nur ein schmaler Pfad ist frei, damit wir darauf gehen können. Freundlich lachend harkt ein Bauer den Reis. Sein Kopf ist durch einen runden spitzen Strohhut gegen die sengende Sonne geschützt. Der Markt ist erst morgen, also wandern wir geruhsam in Richtung burmesische Grenze. Die Berge auf der anderen Seite des Tals sollen schon zu Burma gehören. Als wir eine Brücke über einen kleinen Fluss betreten, holt uns ein Jeep mit Soldaten ein. Irgendwie entnehmen wir ihrem Winken und Schreien, dass wir umkehren müssen: Sperrgebiet! Wir gehen in die andere Richtung, wo wir nach einem langen Fußmarsch auf einem Hügel eine wunderschöne silbern angemalte Pagode finden. Hier können wir im Schatten eines großen Baumes eine kühle Cola trinken.

Am nächsten Tag besuchen wir den Markt. Der ist riesig groß. Ich weiß gar nicht, wohin ich schauen soll: überall fantastische Trachten, exotische Gemüse – so viel zu sehen – so viel zu riechen! Oberhalb des Marktes liegt ein Tempel unter großen tropischen Bäumen – ein ruhiger, friedlicher Platz abseits vom bunten Treiben des Marktes.

Zwischen all den Menschen wühlen dicke schwarze Schweine im Dreck. Wenigstens haben diese Schweine ein gutes Leben, bevor sie geschlachtet werden! Eine fette Sau mit ihren süßen Ferkeln begeistert mich sehr.

Nach diesem Ausflug fahre ich in guter Laune nach Jinghong zurück. Kathy und Laura sind abgereist. Auch Fay fährt gleich weiter. Ich fühle mich gut und ausgeruht. Also ist es nicht nötig, nach Kunming zu fliegen. Ich kaufe mir eine Fahrkarte für den Bus.

Nachtrag: Es hat sich rumgesprochen, dass Xishuangbanna ein tropisches Paradies ist. Bei meinen Recherchen (2019) finde ich, dass sich in Jinghong heute ein Hotel an das nächste reiht. Ich habe das Hotel, in dem ich damals wohnte, nicht wiedergefunden.

In den chinesischen Dschungelgebieten Xishuangbanna sollen die letzten südchinesischen Tiger sowie seltene Affen und Vögel leben. Die Zahl der wilden Elefanten, von denen es 1991 noch 100 gegeben haben soll, hat sich erfreulicherweise verdoppelt. Doch sehen wird man davon eher nichts. Es werden heute geführte Wanderungen angeboten. Das sollte man unbedingt probieren! Außerdem gibt es ein Elefanten-Aufzucht Center. Überland direkt von Xishuangbanna nach Myanmar weiterzufahren, ist immer noch nicht möglich.

Links

Markt in Menghun Xishuangbanna

Wie alles begann

Ulrike

3 Gedanken zu „12.10.1991 Ferien im tropischen Xishuangbanna“

  1. Nach Xishuangbanna wären wir dieses Jahr auch beinahe gefahren. Bei meinen Recherchen kam mir das auch alles sehr touristisch vor, aber auch sehr schön. Umso toller, dass ich mit dir dort hin reisen konnte, wo alles noch etwas ursprünglicher war!

    Krass, das mit der Grenzbewachung damals, irgendwie gruselig. Bei meinem Mann hat die Gegend noch heute einen schlechten Ruf …

  2. Backpacking bedeutet nicht zwangsläufig, dass man sich mit mangelnder Hygiene auseinandersetzen muss. Solche Toiletten lassen sich manchmal nicht vermeiden. Bei mir war das Ziel immer das wichtigste. Ich wollte was sehen, also musste ich mit dem manchmal nicht so angenehmen Drumherum leben, vor allem, weil ich nie viel Geld zur Verfügung hatte.
    😉 Das wird auf meiner nächsten Reise sicherlich nicht so schlimm.

  3. Wieder ein toller Bericht, liebe Ulrike. Ich komme heute kaum mit lesen nach. Ein Kommentar noch: „Schon mal eine Toilette erlebt, die man hört (wegen der Tierchen) bevor man sie riecht???“ Das ist einer der Gründe, warum ich niemals Backpackerin werde. Ich kann einiges ab, aber mangelnde Hygiene ist mir ein Gräuel. Da schlagen meine japanischen Gene Alarm. Ich bin vielleicht zu sauber 😉

Ich freue mich auf Deinen Kommentar!