23.06.1992 Endlos: Die Taklamakan-Wüste und die Busfahrten

Weiter geht meine Reise im Sommer 1992 entlang der alten Seidenstraße am Rande der Taklamakan-Wüste.

Meine Erzählungen von den Orten in Xinjiang, die ich damals besucht habe, haben mir sofort den Ruf einer Seidenstraßen-Expertin eingetragen, als ich 12 Jahre später meinen Job bei China Tours antrat. Das führte dazu, dass ich 2007 noch einmal mit einer Reisegruppe nach Turfan und Kashgar kam.

Was für ein Unterschied heute! Die Straße ist eine komfortable Autobahn. Korla mit seinen Hochhäusern und Ölfördertürmen wirkt wie Denver in den USA. Ja, es gibt jetzt sogar eine Eisenbahnverbindung bis nach Kashgar. Turfan – Kashgar in knapp 18 Stunden! Ein Traum! Doch, was verpasst man alles, wenn man unterwegs keinen Stopp machen kann! Die Tausend-Buddha-Grotten von Kizil zum Beispiel, oder die Altstadt von Kucha

Aber das habe ich 1992 auch nicht gesehen. Ich wusste kaum von diesen Orten. Stattdessen endlose Busfahrten. Statt Freude am Abenteuer endlose Langeweile und ein schmerzender Rücken. Der Einfachheit halber und wegen der besseren Qualität stammen die meisten Fotos hier von meiner Reise 2007. Lest mehr davon in meinem

John's Cafe
In Erinnerung an die Zeit in Turfan 1992 trinke ich 2007 ein Bier in John’s Cafe

Reisetagebuch von 1992

23.06. – 26.06.1992 Kashgar – Turfan: Drei endlose Tage im Bus

Ich habe meine Hotel-Rechnung am Vorabend bezahlt und meinen Rucksack gepackt. Wieder einmal trage ich mein Gepäck durch die abweisende Kühle einer morgendlich verlassenen Stadt. Nur im Busbahnhof herrscht schon reges Leben. Ich begrüße ein Paar aus Deutschland, das ich im Hotel kennen gelernt habe. Sie wollen auch nach Turfan. Schön, dass ich für die lange Fahrt durch die Taklamakan nicht allein bin!

Übrigens
2020: Auf der Strecke Kashgar – Turfan gibt es 8 Züge, die für die rund 1.350 km 15 bis 17 Stunden brauchen.

Beim Einsteigen in den Bus machen mir ein Franzose und seine Frau meinen reservierten Platz in der zweiten Reihe streitig. Ich verzichte nach einigem Hin und Her, in dem ich mich hilflos den mangelnden Englisch-Sprachkenntnissen der Franzosen gegenüber fühle, und ziehe zu den Deutschen nach hinten. So kann ich mich unterwegs wenigsten ein bisschen unterhalten. Es sind auch noch einige junge Engländer mit im Bus, ansonsten lauter Einheimische, alles Männer. Unser Gepäck wird auf dem Dach des Busses festgezurrt.

Die Straße wirkt wie unbefestigt. In der dünnen Asphaltoberfläche sind tiefe Löcher. Die Fensterscheiben des Busses klappern ohne Pause. Links, d.h. westlich der Straße, die direkt nach Norden führt, befinden sich die mit Schnee bedeckten Gipfel des Tianshan. Nach Osten hin erstreckt sich endlos die Ebene der Taklamakan-Wüste. Durch die Schmelzwasser, die hin und wieder vom Tianshan hinunterrauschen, befindet sich hier am Rande der Wüste ein Streifen mehr oder weniger fruchtbaren Landes.

Wir fahren durch viele kleine Oasen mit Weizenfeldern und Silberpappeln. An manchem flachen Teich wachsen dürre Büsche. Stundenlang verändert sich die Landschaft kaum. Links die kahlen, vom Wasser tief gefurchten Berghänge, rechts die steinige Wüste. Der Himmel ist bedeckt. Manchmal fegen Sandteufel, kleine Windhosen, über die Ebene.

Da sitze ich also in diesem Bus, fahre auf den Spuren großer Forscher und Abenteurer wie Sven Hedin und langweile mich! Die Landschaft ist wenig attraktiv. Ich frage mich, warum sich so viele Menschen für die Wüste begeistern.

Die eintönige Fahrt wird nur unterbrochen, wenn der Bus für eine kurze oder auch mal längere Pause hält. Die schmutzigen Plumpsklos an den Zwischenstops kosten mich immer neue Überwindung.

Als wir Mittagspause machen, halten wir bei ein paar flachen grauen Häusern. Ich gehe nicht mit ins Restaurant, sondern hole mir an einem Stand eine Schüssel Nudelsuppe. Ich wechsle ein paar Worte mit der freundlichen Uigurenfrau, die die Suppe verkauft. Und die ein chinesisches Wort gelernt, „Lachmien“ sind die langen Nudeln und „Chowmien“ die kleinen Nudelstücke. Sie möchte mir gerne auch noch die entsprechenden Worte in Uigurisch beibringen. Ich kann sie nachsprechen und kann sie mir merken, bis der Bus wieder abfährt. Dann habe ich sie leider sofort vergessen.

Sandsturm – Kara Buran!

Sandsturm in der Taklamakan.
Sandsturm 1992

Am Nachmittag wird der Himmel immer dunkler und der Wind stärker. Die einheimischen Mitreisenden werden still. Der Busfahrer schickt jemanden durch den Gang, der alle Fenster verschließt. Wir fahren auf eine dicke gelbe Sandwolke zu. Dann braust es um uns herum. Wir sind mitten in einem Sandsturm! Es ist der berüchtigte Schwarze Sandsturm Kara Buran. Mühsam quält sich der Bus vorwärts. In dicken Schwaden weht der Sand an uns vorbei. Manchmal aber steht er wie Nebel in der Luft. Feiner Sand dringt durch alle Ritzen.

Dann lässt der Sturm nach, die Luft wird wieder klarer. Doch es wird noch dunkler draußen. Plötzlich und laut bricht ein Gewitter über uns herein. Es wird so dunkel, dass der Busfahrer anhält. Er kann die Straße nicht mehr sehen. Haselnussgroße Eisklumpen hageln auf den Bus. Ohrenbetäubender Trommelwirbel. Aufgeregt stehen wir alle im Bus und schauen fasziniert hinaus. Der Bus schaukelt bedenklich. Dann ist der Spuk plötzlich vorbei und die Fahrt geht weiter.

Schnell löst die Sonne die Eisklümpchen auf. Neben der Straße steht das Wasser in tiefen Gräben. Büsche blühen mit zarten gelben Blüten. Manchmal kann man am Horizont einen See sehen. Oder handelt es sich um eine Fata Morgana? Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es hier in dieser sonst so trockenen und staubigen Ödnis überhaupt einen See geben kann.

Erster Stopp in Aksu

Über Nacht bleiben wir in Aksu. Wir bekommen unser Gepäck nicht gereicht. Ob der Busfahrer zu faul ist, morgen neu zu packen? Ich hoffe nur, dass der Sandsturm und das nachfolgende Gewitter nicht allzu viel Schaden angerichtet haben. Aksu selbst ist nicht besonders attraktiv, wenn man nur den Busbahnhof sieht. Das Hotel ist einigermaßen sauber. Wir können uns am nächsten Tag sogar ein wenig waschen.

Weiter geht es!

Die Fahrt geht im ersten Morgengrauen weiter. Hinter mir sitzen jetzt zwei junge Männer aus Urumqi. Sie unterhalten sich und singen die meiste Zeit. Außerdem hängen sie sich dauernd an meine Rücklehne. Ihr Gesang ist nicht besonders melodiös. Bald fange ich an, mich über die beiden sehr zu ärgern. Ich drehe mich um und bitte sie, doch ein wenig ruhiger zu sein. Sie verstehen anscheinend ganz gut Englisch. Doch sie lachen sich kaputt über mich.

Ich schaue sie wütend an. Das fordert sie heraus, noch unschöner zu singen und zu pfeifen. Bei den Deutschen, die vor mir sitzen, bekomme ich leider keine Unterstützung. Nur, als der eine versucht, sich auf den freien Sitz neben mir zu setzen, wahrscheinlich weil er mich so amüsant findet, werde ich richtig ärgerlich und schnauze ihn so wütend an, dass er es vorzieht, sich wieder nach hinten zu setzen. Eine Erholungspause gibt es nur, wenn die beiden schlafen.

Das schlimmste Hotel, das ich je erlebt habe

Entnervt und müde kommen wir schließlich bei einsetzender Dämmerung in Korla an, wo wir die zweite Nacht verbringen sollen. Die beiden Deutschen, Ralf und Lilli, und ich beschließen, ein Zimmer zu teilen. Wir stehen lange Schlange, bis wir unsere Betten im zweiten Stock zugeteilt bekommen. Während wir warten, kann ich beobachten, dass die einheimischen Mitreisenden einen wesentlich niedrigeren Preis als wir Westler für ihr Bett bezahlen. Na ja, das ist eben in China so, denke ich resigniert.

Das Hotel sieht relativ neu aus. Aber das Zimmer ist staubig. Aus dem schweren alten Sessel am Fenster quillt an mehreren Stellen die Füllung. Die Betten sind zwar gemacht, aber schon auf den ersten Blick können wir sehen, dass die Laken benutzt worden sind. Egal: ich krame meinen Schlafsack hervor, den ich immer noch mit mir rumschleppe. Für solche Gelegenheiten ist er ganz gut. Mit meinem Handtuch decke ich das Kopfkissen ab.

Hotelzimmer bei Korla
Hotelzimmer bei Korla

Nun möchte ich mich gerne waschen. Es gibt ein Badezimmer auf der Etage, aber ein dickes Vorhänge-Schloss verwehrt mir den Weg. Entschlossen gehe ich hinunter zur Rezeption, wo sich der Wirt zusammen mit den Angestellten gerade von dem Ansturm erholt. Ich versuche, mich mit einem Gemisch aus Englisch und meinen wenigen chinesischen Brocken verständlich zu machen. Man scheint mich auch zu verstehen. Aber das Badezimmer wird nicht geöffnet. Es gibt eines hier im Erdgeschoss, sagt man mir. Außerdem könne ich ja die Toiletten des Busbahnhofs hinter dem Hotel benutzen.

Ich schaue mir zunächst das „Badezimmer“ an: Es ist ein dunkles, modrig riechendes Kabuff. Die einzige Wanne und das einzige Waschbecken sind rot von den Mineralien des Wassers, das beständig aus den Hähnen tropft.

Die Toilette finde ich nach einem Gang über den Hof, vorbei an überquellenden Mülltonnen. Die Frauenabteilung besteht aus einem dunklen Flur, der mit einer trüben Glühbirne beleuchtet ist. Nur schemenhaft kann ich die Mäuerchen erkennen, die die einzelnen Abteile trennen. Der Fußboden ist glitschig. Es stinkt erbärmlich. Ich taste mich auf Zehenspitzen durch den Dreck. Wie gut, dass ich kaum etwas erkennen kann. Die Not zwingt mich, diese Toilette zu benutzen.

Dann kehre ich wütend zur Rezeption zurück. Ich erkläre dem Wirt, dass das so nicht gehen würde und dass er uns schnellstens das Badezimmer im 2. Stock öffnen soll. Er grinst nur: das kann er nicht. Ich sage mit allem Chinesisch, das ich beherrsche, dass ich es nicht gut fände, dass wir Westler 15 Yuan zahlen müssten für eine solche dreckige Unterkunft, während die Chinesen nur 8 Yuan zahlen. Da schaut er mich ruhig an und meint nur: Das stimmt nicht! Die Chinesen zahlen nur 5 Yuan!

Ich bin mit meiner Geduld am Ende! Wütend gehe ich zurück ins Zimmer, berichte Ralf und Lilli kurz, die mir entsetzt zuhören. Dann schnappe ich mir meine kleine Kamera, die mit einem automatischen Blitz ausgestattet ist, und gehe noch mal runter, um das Bad und die Toiletten zu fotografieren. Dabei achte ich darauf, dass der Wirt das auch sieht. Ich sage ihm noch, dass ich die Fotos in Peking dem Staatlichen Reisebüro, das die Unterkünfte im ganzen Land kontrolliert, zeigen würde. (Anmerkung: Das habe ich dann nicht gemacht. Aber ich habe von anderen Reisenden, die wenige Tage nach mir die Strecke gefahren sind, gehört, dass die Waschräume und Toiletten auf dem Stockwerk geöffnet worden waren.)

Unsere Hoffnungen richten sich nun auf das Hotel in Turfan, das ganz gut sein soll. Müde und kaputt sitzen wir am nächsten Tag wieder im Bus. Heute Abend sind wir in Turfan, wenn alles gut geht!

Noch ein Tag in der Taklamakan

Nachdem auch an diesem Tag die Landschaft eben und wenig abwechslungsreich ist, ändert sie sich gegen Mittag dramatisch. Wir fahren durch ein ausgewaschenes Flussbett in ein enges karges Tal hinunter. Manchmal ist die Straße gar nicht mehr zu erkennen. Wer weiß, ob das wirklich eine Straße ist? Oder ist sie nicht doch nur ein ausgetrocknetes Flussbett? Die Felshänge rechts und links sind gänzlich ohne Pflanzen und bestehen aus gelbem Gestein und Sand. Die „Straße“ ist unglaublich holperig. Mir klappern die Zähne bei den schweren Stößen. Meine Knie sind wund, weil sie ständig gegen den Sitz vor mir stoßen. Doch auch diese Fahrt geht vorbei.

Die schlucht mit angewehtem Sand aus der Taklamakan-Wüste 2007
Die Schlucht mit angewehtem Sand aus der Taklamakan-Wüste 2007

Kaum sind wir in dem staubigen Daheyan angekommen, schauen wir uns nach dem Turfan-Bus um. Doch wir müssen erfahren, dass wir den letzten Bus für heute verpasst haben. In einer Ecke des Busbahnhofs steht ein mitleiderregender alter Bus. In den Fenstern fehlen die meisten Scheiben. Der fährt bestimmt nicht mehr! Jetzt müssen wir hier auch noch übernachten! Wir sind 7 Westler. Deshalb überlegen wir, ob wir uns nicht einen Minibus mieten, der uns nach Turfan bringt. Doch erstens finden wir keinen und zweitens scheint uns das auch zu teuer. Also noch eine Nacht in einem einfachen, schmuddeligen Hotel.

Lilli und Ralf gönnen sich ein Zimmer in einem etwas besseren Hotel. Ich schließe mich den anderen Westlern an. Beim Abendessen versöhne ich mich mit den Franzosen. Sie gehen mir ein wenig auf die Nerven mit ihrem „Wissen“ von der Unterdrückung der Religionen in China und anderem. Sie können mir gar nicht glauben, dass es funktionierende Tempel gibt. Noch nie in China, aber sie wissen alles besser!

26.06. – 01.07.1992 Turfan, Stadt des Weins

Als wir am nächsten Morgen auf dem Busbahnhof zusammentreffen, müssen wir entsetzt feststellen, dass der Schrottbus, den wir gestern noch mitleidig angeguckt haben, der einzige ist, der nach Turfan fährt. Es ist nur eine Stunde Fahrt. Die wird er hoffentlich durchhalten! Irgendwie habe ich mich an solche Überraschungen gewöhnt und ergebe mich in mein Schicksal. Manche der Sitzbänke wackeln bedenklich. Aus der dünnen Polsterung schaut das Stroh. Eine Bank ist gar durch eine Holzleiste ohne Rücklehne ersetzt worden.

Auf dieser Strecke sieht die Taklamakan Wüste aus wie immer: eine endlose steinige Ebene mit vielen ausgedörrten Büschen. Am Horizont dunkle Berge. Da ist uns das Grün der Oasenstadt Turfan, das nach einstündiger Fahrt vor uns auftaucht, sehr willkommen. Auf dem Weg zum Hotel fallen uns sofort die vielen Traubenspaliere auf, die sich über den Bürgersteigen befinden. Dadurch liegen die Wege in einem kühlen Schatten. Dicke Trauben hängen auf uns hinab. In Englisch und Chinesisch warnen Schilder davor, die Trauben zu pflücken. Auf den chinesischen Schildern wird eine Strafe von 1 Yuan angedroht, auf den englischen sind es dagegen 10 Yuan!

Traubenspalier 2007
Traubenspalier 2007

Das Hotel besteht aus mehreren Gebäuden am Rande der Stadt. Es gibt einen Garten und ein nettes Gartencafe. Ich teile mit Lilli und Ralf ein dunkles Zimmer mit Aircondition. Welch ein Luxus! In einem anderen Haus sind die Waschräume untergebracht. Sie sind dunkel aber außerordentlich sauber. Schon am frühen Nachmittag kann ich warm duschen.

Hier komme ich endlich dazu, meinen Rucksack auszupacken und nachzusehen, ob alles die drei Tage Fahrt durch die Taklamakan Wüste heil überstanden hat. Es ist tatsächlich weder Regen noch Sand eingedrungen. Nur meine Kamera scheint bei der holprigen Fahrt durch die Schlucht einen Schaden davongetragen zu haben. Das Normalobjektiv lässt sich nicht mehr drehen und scharf stellen. Ich schlucke. Was mache ich jetzt? Hier in Turfan kann ich das bestimmt nicht reparieren lassen. Ich versuche, mich davon zu überzeugen, dass es eine Herausforderung ist, alle Fotos mit dem Teleobjektiv zu machen. Außerdem habe ich ja noch die kleine Kamera. Trotzdem verliere ich für ein paar Tage die Lust am Fotografieren.

In dem Cafe und einem kleinen Openair-Restaurant gegenüber vom Hotel kann man wunderbar abhängen. Es gibt eine köstliche Traubenlimonade, die nicht sehr süß ist. Hier treffe ich Leute wieder, die ich schon vom Karakorum Highway her kenne. Die australischen Mädchen zum Beispiel und einen Holländer, Adrian, aus dem Bus nach Kashgar. Immer wieder finde ich Anschluss an diese Leute, so dass ich keinen Ausflug alleine unternehmen muss.

Die Wüste um Turfan ist reich an Ausgrabungsstätten, alten Ruinenstädten und buddhistischen Tempeln. Eine Agentur im Hotel organisiert Ausflüge dorthin. Es ist sehr heiß. Schließlich ist es Juli. Hochsommer. Kaum zu glauben, dass es im Winter in der Taklamakan-Wüste -40°C kalt werden kann! Es muss auch mal sehr viel mehr Wasser gegeben haben. Denn die gewaltigen Lehmmauern der verlassenen Ruinenstädten zeugen von glanzvollen Zeiten, in denen hier sehr viel mehr Menschen als heute gelebt haben. Ein altes unterirdisches Kanalsystem bringt Wasser von den Gletschern des Tianshan bis nach Turfan hinein. An einer Stelle haben wir die Gelegenheit, in einen solchen Kanal hineinzugucken. Ein eiskalter Wind weht uns daraus entgegen und kühlt uns ein wenig ab.

Lilli und Ralf laden mich zum Essen in ein schönes Restaurant ein. Endlich mal eine Gelegenheit, meinen Rock zu tragen und mich ein wenig „aufzubrezeln“! Wir sitzen an einem mit einer Tischdecke und schönem Porzellan gedeckten Tisch vor dem Restaurant und schauen einem Nudelkoch bei seiner artistischen Nudelzubereitung zu: Er zieht den Nudelteig geschickt in mehrere Stränge und schmeißt sie mit Schwung in die kochende Suppe. Wir trinken einen leckeren trockenen Wein aus richtigen Weingläsern zum Essen. Das ist ein Luxus, den ich mir schon lange nicht mehr gegönnt habe und den ich jetzt aus vollem Herzen genieße!

Turfan hat auch einen großen Markt. Zur Zeit ist Melonensaison. Die köstlichsten Melonen sind die gelben aus Hami. Aber auch die Wassermelonen sind unglaublich süß und saftig! Dazu gibt es reichlich Weintrauben. Rosinen und getrocknete Aprikosen. Die Straßen sind geprägt von Uiguren und Kasachen in ihren traditionellen Trachten. Ich liebe es, durch die Märkte zu gehen und die Menschen beim Handeln zu beobachten. In einer Markthalle werden die bunten oder auch mit Perlen und anderem Glitzerzeug bestickten Kleider verkauft, die die Frauen hier so gerne bei jeder Gelegenheit tragen. Ich kann mich gar nicht satt sehen!

Bazar 2007 Wüste
Bazar 2007

Auf dem Weg zum Staatlichen Reisebüro, wo ich mir eine Reservierung für den Zug von Daheyan nach Dunhuang besorge, besichtige ich auch das hübsche, moderne Museum von Turfan. Wie immer bin ich ganz alleine in den Ausstellungsräumen. Es sind viele Artefakte und auch Trachten aus der glanzvollen Vergangenheit der Seidenstraße ausgestellt.

Lilli und Ralf reisen weiter und so habe ich das Zimmer für mich alleine. Andere Leute, mit denen ich mich gut unterhalten habe, verschwinden wieder. Die meisten netten Leute scheinen unterwegs nach Pakistan zu sein. Auch für mich wird es Zeit, weiterzufahren.

Beim Reisebüro habe ich nur die Reservierung für den Hardsleeper bekommen. Also muss ich mir in Daheyan, wohin mich wieder der Klapperbus bringt, meine Fahrkarte kaufen. Das wird zu einem Riesenproblem, denn ich habe noch genau 113,80 Yuan in der Tasche und die Fahrkarte kostet 114,- Yuan. Ich verbringe also die meiste Zeit auf dem Bahnhof damit, dass ich versuche, die Schaffnerin zu bitten, mir die 20 Fen zu erlassen. Sie ist unerbittlich: kein Geld, keine Fahrkarte. Es gibt in diesem Kaff natürlich keine Bank zum Geldwechseln. Endlich erbarmt sich ein älterer Chinese, der das Spektakel beobachtet hat. Er spendet mir die 20 Fen. Ich bin ihm außerordentlich dankbar. Es ist so peinlich, dass ich „reiche“ Westlerin bei einem Chinesen schnorren muss! Glücklich liege ich dann auf meinem Bett im Hardsleeper und lausche auf das Rattern der Zugräder.

02.07. – 05.07.1992 Dunhuang

Auf der nächtlichen Fahrt mit dem Zug verpasse ich Hunderte Kilometer Wüste. Dann ist es noch mehr als eine Stunde mit dem Bus vom Bahnhof zum eigentlichen Dunhuang. Der Weg geht hier schon nicht mehr durch die Taklamakan-Wüste sondern bereits durch die Gobi. Zunächst ist die Wüste wie die Taklamakan flach, staubig, trostlos. Dann sind rechts und links immer mehr Sanddünen zu sehen. So habe ich mir Wüste vorgestellt! Ein Meer aus Sand, endlos bis zum Horizont. Eine alte zerfallene Lehmmauer begleitet die Straße kilometerlang. Dabei sind nirgendwo die Reste einer Siedlung zu sehen. Ob es sich um die Reste der Großen Mauer handelt?

In Dunhuang steige ich im Hotel des Busbahnhofs ab. Ein netter Chinese, der sehr gut Deutsch spricht, führt mich auf mein Zimmer. Das Hotel ist modern und zweckvoll eingerichtet und so sind auch die Zimmer: sauber, ordentlich, langweilig.

Dunhuang
Dunhuang Shutterstock

Ich habe keine Ruhe, schmeiße nur meinen Rucksack aufs Bett und gehe los. Dunhuang ist viel chinesischer als Kashgar und Turfan. Breite, mit großen Bäumen gesäumte Straßen und graue Gebäude rechts und links. Mir fallen die vielen chic gekleideten chinesischen Frauen auf, die selbstbewusst im knappen Minirock umherlaufen. In einem Laden unterhalte ich mich mit zwei Mädchen. Ich bin ganz stolz darauf, dass ich mein bisschen Chinesisch anbringen kann. Sie erzählen mir, dass sie 150 Yuan im Monat verdienen, umgerechnet 30 D-Mark. Das ist selbst für China nicht viel. Aber sie wohnen noch bei ihren Eltern und haben nicht viele Ausgaben. Das sagen sie und wirken sehr zufrieden auf mich.

In der Post, wo ich ein paar Briefmarken kaufe, spricht mich ein älterer Chinese auf Deutsch an. Er erzählt, dass er dabei ist, ein deutsches Buch ins Chinesische zu übersetzen. Ob ich ihm helfen könne? Er weiß nicht, wie er das Wort „großmütig“ übersetzen soll. Nach dem vielen Englisch in der letzten Zeit muss ich lange überlegen, wie ich ihm das Wort erklären soll. Ist ja ein wenig altmodisch. Es gelingt mir dann doch, und zufrieden zieht der Mann von dannen. Ich wundere mich ein wenig, dass ich hier sofort als Deutsche erkannt worden bin.

Pläne machen

Die Reiseroute der letzten Wochen hat sich ergeben aus der Tatsache, dass ich nach Peking will. Urumqi habe ich ausgelassen, weil es mich nicht interessiert hat. Von Kashgar aus hätte man auch südlich der Taklamakan nach Tibet reisen können. Doch, soviel ich weiß, ist dieser Weg nicht für Ausländer geöffnet. Tibet habe ich von meiner Liste gestrichen, da ich Angst vor erneuter Höhenkrankheit habe. Was also als nächstes? Vor allem unter Berücksichtigung der Tatsache, dass ich keine langen Busfahrten mehr möchte, plane ich meine nächsten Stationen. Jiayuguan bietet sich an, denn dieser Endpunkt der Großen Mauer liegt direkt an der Bahnlinie nach Lanzhou und Beijing. In Jiayuguan kann man ein altes Fort besichtigen.

Prächtige Mogao Grotten

Vorläufig bin ich aber noch in Dunhuang und hier gibt es auch viel zu sehen. Mit ein paar Westlern aus dem Hotel schließe ich mich zusammen, damit wir uns einen Minibus zu den berühmten Mogao Grotten mieten können. Diese Grotten und Felsentempel (UNESCO Weltkulturerbe seit 1987) sind berühmt für wundervolle Buddhastatuen und Wandgemälde aus der Zeit der Tang-Dynastie. Hunderte von kleinen und großen Höhlen sind in die Felswand eingekerbt. Auf alten Fotos kann man sehen, dass das Gelände davor mit einem alten Tempel einst völlig vom Sand begraben war. Heute ist alles freigelegt und die Höhlen erforscht. Teilweise sind die Tempel wieder aufgebaut. Pappeln schützen das Erdreich vor dem Davonwehen.

Mit der teuren Eintrittskarte können wir das Gelände zwar betreten, müssen aber für die Öffnung einiger Höhlen extra zahlen. Da ich dazu eigentlich keine Lust habe, schließe ich mich unauffällig einer schwedischen Reisegruppe an. Leider bemerken die mich ziemlich schnell und jagen mich mit bösen Worten weg. Egal! Ich habe alles gesehen, was ich wollte.

Dunhuang
Fresko aus Dunhuang im Muset Guimet Paris

Ich warte vor dem Tempel auf den Rest meiner Leute. Dabei kann ich eine uralte kleine Frau beobachten. Sie hat entsetzlich kleine Füßchen und kann sich nur mit Mühe vorwärts bewegen. Sie deutet auf ihre Füße und hält die Hand auf. Beim Betteln sind ihr die eingebundenen Füße hilfreich. Ich habe großes Mitleid mit ihr. Wie schrecklich, dass man noch heute Frauen sehen kann, die für ein Schönheitsideal der Männer so furchtbar haben leiden müssen! Ich hatte gedacht, dass diese Sitte so lange in der Vergangenheit zurückliegt, dass es diesen Anblick nicht mehr gibt. (Anmerkung: Obwohl mit Gründung der Republik 1912 das Füßebinden verboten wurde, wurde diese Sitte noch bis in die 1930er Jahre gepflegt, weil man sich davon bessere Heiratschancen für die Töchter versprach. mehr)

Die Dünen der Taklamakan Wüste

Am nächsten Tag miete ich mir ein Fahrrad und fahre zu den berühmten Dünen mit dem Mondteich hinaus. Dabei führt mich die schmale Straße durch die Vororte von Dunhuang. Wie Reihenhäuser ziehen sich lehmgelbe flache Häuser endlos die Straße entlang. Hofmauer reiht sich an Hofmauer. Wo ein Tor offen steht, blicke ich in großzügige Höfe, in denen Bäume Schatten spenden und Hühner im Sand scharren. Überall gibt es blühende Blumen, meistens gelbe Sonnenblumen und rote Malven. Die warme Luft ist erfüllt vom Duft fast reifen Getreides. Ein Mann zieht ein Kamel hinter sich her. Uralte Ruhe liegt über allem.

Dünen der Taklamakan Wüste bei Dunhuang
Mondsichelsee bei Dunhuang (c) Jin Yong 2018

Bei den Dünen muss ich feststellen, dass alles eingezäunt ist und man ein horrendes Eintrittsgeld verlangt. Ich halte es für übertrieben und boykottiere es. Lieber gehe ich in das nahegelegene Heimatmuseum. Hier kann ich für ein paar Fen hübsch eingerichtete traditionelle Zimmer sehen. Sie haben den typischen Kang, das von unten beheizbare Bett, auf dem die ganze Familie zu schlafen pflegt. Ein Raum ist wie ein Tempel eingerichtet. Es ist deutlich, dass dies keine Verehrungsstätte sein soll. Doch vor den Götterbildern haben Menschen Früchte und Räucherstäbchen hingelegt. Damit diese Verehrung nicht nutzlos ist, gibt es auch einen Opferstock, sprich eine Spendenbox für das Museum. Ich bin fast ganz alleine. Von einem der oberen Stockwerke kann ich doch noch einen Blick auf die hohen gelben Sanddünen am Mondteich werfen. (2020: Das Dunhuang Museum befindet sich jetzt direkt in der Stadt travelchinaguide.com)

Auf dem Rückweg mache ich an einem Kiosk Rast. Ich sitze im Schatten unter einer Pergola aus Hopfenblüten. Es ist vielleicht 30° bis 34°C warm, was ich als sehr angenehm empfinde. Ich habe mich also gut an die Hitze gewöhnt. Ein Mann in altmodischer Kleidung und Stoffsandalen geht vorbei. Ich schaue diesem merkwürdigen Geschöpf nach: ist es wirklich ein Mann? Unter dem Strohhut ist das nicht zu erkennen. Mönch oder Nonne? Buddhist oder Taoist?

Nachdenklich sitze ich an dieser ruhigen Straße im berühmten Dunhuang. Ich genieße diese Minuten der Stille und Entspannung. In ungefähr zweieinhalb Monaten werde ich Zuhause sein. Gerade deshalb ist dieser Augenblick etwas besonderes. Ich bin so weit weg von Deutschland. Auch in kultureller Hinsicht. Ich bin in einer völlig anderen Welt. In einer anderen Zeit.

Abenteuerliche Geschichten

Im Hotel zurück gehe ich mit einigen Westlern zum Essen. Eine bunte Mischung hat sich zusammen gefunden: ein amerikanisches Ehepaar, das die Taklamakan-Wüste mit dem Fahrrad durchquert und bis nach Beijing will. Sie haben ein straffes Programm, das sie zwingt, ca. 100 km jeden Tag zu fahren. Ich beneide sie nicht. Das muss in dieser Wüste ziemlich hart sein. Da bleibt kaum Zeit, Land und Leute kennen zu lernen.

Eine Französin erzählt Horror-Geschichten von unterwegs. Sie hat in Pakistan im Swat-Tal gezeltet und ist von den Männern eines nahegelegenen Dorfes fast überfallen und vergewaltigt worden. Was zeltet sie auch als Frau alleine in so einer Gegend, frage ich mich. Dann berichtet sie von einem Engländer, der angeblich dabei erwischt worden ist, dass er versucht hat, die Mauern beim Mondteich zu übersteigen, um das Eintrittsgeld zu sparen. Den habe man ins Gefängnis geschmissen und gefoltert. Ich kann das nicht glauben. Woher weiß sie das? Als ich nachfrage, gerät sie ins Stottern. Ich denke, dass manche Westler es sehr befriedigend finden, wenn sie ihre Vorurteile über das „schreckliche“ China angeblich bestätigt finden.

Wie alles begann

Ulrike

5 Gedanken zu „23.06.1992 Endlos: Die Taklamakan-Wüste und die Busfahrten“

  1. So interessant zu lesen, wie die Reise damals verlief und mit 2014 zu vergleichen, als wir dort waren. Unser Reisefuehrer in Dunhuang erzaehlte noch, wie es vor dem Bau der Strasse war. Ich schaetze er war erst in seinen Dreissigern, kann also noch nicht lange her sein. China ist spannend.

  2. Ach, das war mehr oder weniger normal damals. Aber manchmal hat mich das ziemlich geärgert. Danke für deinen Kommentar! LG Ulrike

  3. Ja, so im kühlen Zimmer lässt sich das gut lesen. Ich bin mit dem großen zeitlichen Abstand hier in meinem kühlen Zimmer immer ganz erstaunt, was ich so alles damals auf mich genommen habe.
    LG
    Ulrike

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