19.07.1992 Ganz besondere Erlebnisse in Qinghai

Zuletzt aktualisiert vor 3 Monaten

Qinghai Abenteuer abseits der Touristenpfade

Nach den erholsamen und schönen Tagen in Xiahe geht es wieder in Gebiete, die selbst der Lonely Planet kaum beschreibt. Zu Orten in Qinghai, von denen ich nur wenig weiß. Da sind einzig die begeisterten Erzählungen einzelner Backpacker, die in Xiahe die Runde machen. Erst Jahre später erfahre ich, dass der Tempel in der Stadt Tongren die Rongwu Gompa (Longwu Tempel aus dem 14. Jh.) ist und dass der beeindruckende „rote“ Canyon eine berühmte Landschaft ist.

Tongren Qinghai 1992

Weil es kaum Informationen gibt, verpassen wir so Sehenswürdigkeiten wie das Wutong Kloster. Aber schön ist es doch! Das Reisen abseits der Touristenpfade in China bringt dann einige Unbequemlichkeiten mit sich wie sehr, sehr einfache Unterkünfte und ungemütliche Restaurants. Heute gibt es mehr Informationen, Touristenhotels und gute Straßen. Ja, es gibt sogar manchmal Reisegruppen, die ihren Weg nach Tongren finden.

Ich genieße die Zeit auch, weil ich tolle Begleiter habe. Mit Guido und Soofon macht das Erkunden abgelegener Orte und das Teilen von einfachsten Schlafgelegenheiten richtig Spaß!

Mein Reisetagebuch 1992:

19.07. – 22.07.1992 Tongren: Tempel abseits der Touristenpfade

Früh morgens nehmen wir uns ein Taxi zum Busbahnhof. Der Bus, in dessen Gepäckraum unsere Rucksäcke verstaut werden, macht einen ganz ordentlichen Eindruck. Wir haben unsere Plätze nicht ganz vorne, so dass wir nicht alles sehen, was auf der Straße vor sich geht, worüber ich bei den hiesigen Straßenverhältnissen nicht unglücklich bin.

Der Weg windet sich hinauf auf eine weite Hochebene. Überall sehen wir die Zelte der Nomaden, die hier schwarz sind, und viele Yaks. Sie sind klein, langhaarig und manche haben ein schwarzweißes Fell. Wenn sie in panischer Angst vor dem Bus davon galoppieren, recken sie ihren Schwanz in die Luft. Die Haare wehen wie eine lange Mähne. Sie sehen sehr komisch dabei aus.

Xiahe-Tongren Buspanne

Dann geht es in Serpentinen durch einen lichten Wald wieder hinunter. Hinter einer engen Kurve können wir im Tal einige Meter unterhalb der Straße den verunglückten Bus auf der Seite liegen sehen. Andächtig schauen alle hinaus. Es ist ein wenig unheimlich, so direkt an die Unsicherheit der Straßen und Busse in China erinnert zu werden. Der Busfahrer scheint nun besonders langsam und vorsichtig zu fahren.

Ein paar Kilometer weiter hält er auch schon an einer Quelle an. Wir dürfen aussteigen und können dabei zusehen, wie der Fahrer eimerweise kaltes Wasser über die Reifen und Achsen schüttet. Zischend verdampft es auf den heißen Lagern. Unser Vertrauen in den Bus ist schwer erschüttert.

Wir erreichen schließlich ein weites fruchtbares Tal mit Getreidefeldern, kleinen Dörfern und weithin leuchtenden weißen Stupas. Da sind wir in der Provinz Qinghai angelangt. In einem Dorf halten wir erneut, um die Räder mit Wasser zu kühlen. Noch einmal wird das Tal enger. Die steilen roten Felswände rechts und links wirken ein wenig wie der Grand Canyon. Ich bin sehr beeindruckt.

Seltsames Tongren in Qinghai

In Tongren angekommen suchen wir das einzige Hotel, das laut unserem Reiseführer Ausländer aufnimmt. Dort wird uns an der Rezeption gesagt, dass es keine freien Zimmer gibt. Erst nach einigem Warten und Diskutieren bekommen wir zwei Betten für uns Frauen und ein Bett für Guido zugewiesen. Das Hotel ist ein typisch chinesischer Betonbau. In einem Hinterhaus finden wir die Zimmer im zweiten Stock. Soofon und ich sollen in einer Art Abstellkammer direkt hinter dem Tisch der Zimmerfrau schlafen. Wenn tatsächlich kein anderes Bett frei ist, müssen wir das wohl so hinnehmen. Doch dann entdecken wir, dass Guido in einem Vierbettzimmer schläft, wo nur ein weiteres Bett von einem Australier belegt ist. Also sind zwei Betten frei.

Wir fragen den Australier, ob er etwas dagegen hat, dass wir zwei Frauen zu ihnen ziehen. Das ist für ihn überhaupt kein Problem. Also gehen wir noch mal zur Rezeption, um dort zu sagen, dass wir in das Vierbettzimmer umziehen wollen. Unser Wunsch stößt zunächst einmal auf völlige Ablehnung. Männer und Frauen in einem Zimmer – das geht nicht! Auch wenn das in vielen Hotels in China kein Problem ist, hier ist es eins! Soofon kann mit ihren Chinesischkenntnissen die Frau an der Rezeption endlich davon überzeugen, dass Guido unser Cousin ist. Da wir alle eine Familie sind, können wir auch zusammen ein Zimmer teilen. Dass der Australier nicht zu unserer „Familie“ gehört, spielt keine weitere Rolle.

Wir sind glücklich über unseren Erfolg. In einem kleinen Restaurant in der Nähe essen wir eine Kleinigkeit und kaufen dann in einem Laden gegenüber vom Hotel eine große Tüte Karamellbonbons und eine mit Erdnussbonbons und eine Flasche Limonade. Damit feiern wir ein wenig auf unserem Zimmer. Welch ein Luxus! Wir haben es richtig gut!

Der große Tempel, eigentlich für uns Frauen verboten

Am nächsten Tag gehen wir hinüber zum großen Tempel, der aus mehreren Hallen und einigen Wohngebäuden besteht. Doch schon am Tor kommt uns ein Chinese entgegen. Er sagt, dass Frauen zur Zeit die Tempel nicht betreten dürften. Soofon übersetzt: Es sei ein heiliger Monat der Tibeter. An allen Eingängen und Toren des Tempels sind Tannenzweige angebracht. Die so gekennzeichneten Räume dürfen Frauen nicht betreten. Wir versuchen, ihn zu überreden.

Schließlich geht er zurück und bespricht sich mit einem tibetischen Mönch. Wir schauen aus der Ferne zu. Sollen wir einen Hintereingang suchen, wo uns niemand sieht? Es wäre doch schade, wenn wir nach dem weiten Weg hierher die Tempel nicht sehen könnten!

Rongwu Gompa
Rongwu Gompa

Der Mann kommt zurück und fragt uns, woher wir kommen. Als er hört, dass wir aus Deutschland bzw. Schweden sind, meint er, dass man für uns eine Ausnahme machen würde. Da wir von so weit her extra nach Tongren gekommen sind, dürfen wir uns den Tempel ansehen.

Tongren 3

Der Tempel

Der tibetische Mönch führt uns nun persönlich in einen Raum über dem Tor. Dort sehen wir eine juwelengeschmückte Dämonenfigur, die uns aus einem dunklen Gesicht anschaut. Über allem hängt der schwere Duft der Räucherstäbchen. Ein alter Mann sitzt vor der gewaltigen Statue und wirbelt seine Gebetsmühle. Die Haare des Mannes bilden eine graue filzige Haube aus lauter langen Zöpfen. Ich weiß gar nicht, wohin ich zuerst gucken soll. Ich bin überwältig von der Pracht des Goldes und der Edelsteine, beeindruckt von dem bösen Grinsen des Dämonen und sprachlos darüber, dass ich diese unwirkliche Erscheinung des alten Mannes sehen darf.

Wir verabschieden uns mit einer Verbeugung und einer Spende und gehen weiter zu den übrigen Tempelhallen. Die Altäre sind spärlich beleuchtet von kleinen Butterlämpchen. Alles ist mit leuchtenden Farben ausgemalt. Von den Balken und Wänden schauen uns die großen Augen der Dämonen und Götter bei jeder Bewegung zu. Es sind nur wenige Gläubige zu sehen. Glocken klingen. Dumpfe Trommelschläge.

Um uns wieder zu beruhigen, drehen wir andächtig die großen Gebetsmühlen, die an einem kleinen Gebäude außen angebracht sind. Feierlich gehen wir im Uhrzeigersinn drum herum. Eine Tür ist mit Totenköpfen bemalt. Alles wirkt sehr unheimlich und exotisch. Dann hat uns eine Gruppe junger Mönche entdeckt. Sie sind begeistert, möchten gerne unsere Kameras ausprobieren. Wir stellen uns zu einem Gruppenfoto auf.

Anschließend laden sie uns ein, mit ihnen zu essen. Wir dürfen einen Blick in die Klosterküche mit ihren riesigen schwarzen Töpfen werfen. Aber wir lehnen die Einladung dankend ab. Es hängen auch über dem Eingang zur Küche und zum Esssaal die Tannenzweige. Wir wollen nicht noch mehr eindringen in diese eigentlich für uns verbotenen Räume. Die Mönche ziehen lachend in Richtung Esssaal ab und wir gehen durch die nun leeren Wege zwischen den Unterkünften weiter.

Fünf Dalai Lamas!

An einer kleinen geschnitzten Tür hält uns ein alter Tibeter an. Soofon übersetzt, dass er uns bittet, in sein Haus einzutreten, und uns zu einem Tee einlädt. Hinter der Tür befindet sich ein kleiner Hof mit einer Terrasse. Wir setzen uns auf die niedrigen Schemel, die an einem kleinen Tisch stehen. Der Alte bringt uns strahlend Schalen mit Tee. Die Schalen haben kleine Macken und sind auch nicht ganz sauber. Aber der Tee dampft heiß und verlockend. Allerdings lehnen wir die Beimischung von Butter ab. Egal, er freut sich, dass wir seine Einladung angenommen haben. Zu dem Tee serviert er uns in einem kleinen Korb harte trockene Brotkrusten.

Ich frage mich, wie der alte Mann, der nicht einen einzigen Zahn mehr im Mund hat, dieses harte Brot essen will. Doch er zeigt es uns: er nimmt einen Kanten und stippt ihn so lange in den heißen Tee, bis er schön weich ist. Erleichtert machen wir es ihm nach. Soofon versucht, sein Chinesisch zu verstehen. Er sei Mönch und freue sich immer, wenn er ein wenig mit Ausländern plaudern könne. Er sei schon über 80 Jahre alt. Aber so genau wisse er das nicht. Ein ungefähr 14 Jahre alter Junge, der ein paar Meter entfernt hockt und uns beobachtet, scheint ihm zu helfen.

Ich habe noch ein Foto vom Dalai Lama in der Tasche. Dies ist sicher eine geeignete Gelegenheit, damit ein gutes Werk zu tun. Feierlich überreiche ich ihm zum Schluss das Foto. Er lacht überglücklich, drückt es an Mund und Stirn und sagt immer wieder etwas von „wu!“ Soofon versteht nicht, was er meint. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, er muss uns das Fenster zu seinem Schlafzimmer öffnen. An der anderen Wand öffnet er einen Schrank. Staunend schauen wir auf den kleinen Altar, den er dort aufgebaut hat: an der Wand dahinter hängen vier Bilder des Dalai Lama! Mit dem von uns sind es fünf, und auf Chinesisch heißt fünf „wu“! Ich freue mich über den pfiffigen alten Mann, der sich auf diese schlaue und liebenswerte Weise einen kleinen Schatz angeeignet hat. Fröhlich verabschieden wir uns von ihm.

Zirkus! Zirkus!

Tongren Zirkus Qinghai
Im Zirkus

Am nächsten Tag hat Guido Geburtstag. Er soll uns heute sagen, was er an Aktionen oder Ausflügen haben möchte. Zuerst gehen wir in einem netten Restaurant frühstücken. Dann kommen wir zufällig an einem mit roten Tüchern abgesperrten Platz vorbei. Eine stark geschminkte Chinesin kündigt mit lauter Stimme die Vorstellung eines Zirkus an. Guido will hinein. Hinter den Tüchern ist eine freie Fläche und ein Zirkuswagen. Rund um die „Arena“ liegen Ziegelsteine, die man als Hocker benutzen kann. Auf einer Seite sitzen 10 rotgewandete tibetische Mönche. Einige Kinder und Einheimische hocken auf den Steinen und warten mit großen Augen und offenem Mund auf das, was kommen soll.

Die Vorstellung beginnt mit den akrobatischen Kunststücken eines jungen Mannes. Dann zeigt die geschminkte junge Frau zu den schrägen Tönen eines kleinen Kassettenrecorders, was Breakdance ist. Ein Zauberer lässt ein Huhn verschwinden, das man aber deutlich unter dem kleinen Tisch sehen kann. Allerdings müssen wir bald feststellen, dass wir durch eine angeklebte Feder getäuscht wurden. Das Huhn ist und bleibt verschwunden. Die kleinste Frau der Welt wird vorgestellt.

Mich erinnert das alles ein wenig an das, was ich von Kuriositätenausstellungen von vor hundert Jahren in Deutschland gelesen habe. Die einheimischen Zuschauer amüsieren sich köstlich und staunen über all diese kleinen Kunststücke. Ich sitze dabei, lasse mir die heiße Sonne auf den Kopf scheinen und fühle mich wie im „falschen Film“, so merkwürdig und altmodisch wirkt alles auf mich.

Wir spazieren weiter durch den alten Teil von Tongren, wo die Straßen mit Lehmhäusern bestanden sind. Wir bestaunen einen Parkplatz für Pferde und Esel und trinken einen Muslimtee in einem kleinen Teehaus. Am Abend will Guido in eine Karaoke-Bar. Ich wehre mich mit Händen und Füßen dagegen. Doch weil Guido heute Geburtstag hat, gehe ich mit. Schrecklich, diese laute misstönende Musik! Wer hat diesen Leuten nur erzählt, dass sie singen können! Anschließend machen wir uns wieder ein Fest mit Bonbons und ein paar Flaschen Bier. Guido kann gut erzählen. Wir haben viel Spaß miteinander. Schade, dass er am nächsten Tag zurück nach Xiahe fährt!

Wohnhaus in Tongren Qinghai
Wohnhaus in Tongren

22.07. – 24.07.1992 Taersi: das Kloster Kumbum

Also fahren Soofon und ich alleine nach Taersi, wo wir den berühmten Kumbum-Tempel sehen wollen. In einem Dorf in der Nähe von Kumbum ist der jetzige Dalai Lama geboren worden. Außerdem ist dies der Tempel von Tsongkapa, dem Gründer der Gelbmützen-Sekte. Dies und die Tatsache, dass es im nahen Xining einen Bahnhof gibt, von wo aus man den Tempel leicht erreichen kann, machen diesen Tempel zu einer großen Attraktion für Touristen und Pilger. Dieser Teil von Qinghai hatte übrigens einst zu Tibet gehört.

Wir fahren durch die gebirgige Landschaft direkt nach Taersi, einem nicht besonders spektakulären Ort. Zu Beginn der Fahrt können wir noch einen Blick auf den roten Canyon werfen, dann windet sich der Weg in die Berge. Am interessantesten sind die neugierigen Mitreisenden. Irgendwann habe ich sogar ein schlafendes chinesisches Kind auf dem Schoß.

In Taersi heißt es, den schweren Rucksack eine lange Strecke zu tragen, bis wir den Tempel erreichen. In einem alten Gebäude am Eingang zum Tempelgelände ist ein einfaches Guesthouse untergebracht. Die Balken sind wunderschön geschnitzt. Die ganze Atmosphäre ist bunt und altmodisch. Leider gibt es keine Dusche, nicht einmal fließend Wasser. Zum Zähne putzen und Waschen müssen wir uns das Wasser in Thermosflaschen von einem Wasserhahn im Hof holen. Die Toiletten sind auch entsprechend. Na ja, für ein paar Tage können wir auf allen Komfort verzichten. Wenn wir bald nach Xining kommen, erwartet uns dort ein schönes Hotel mit beheizten Räumen und warmen Duschen, jedenfalls wenn wir unserem Reiseführer trauen dürfen.

Vor dem Eingang zum Tempel reihen sich Souvenirshops aneinander. Die chinesischen Touristen kommen in Busladungen und wir müssen anstehen, um eine Eintrittskarte zu bekommen. Viele tibetische Pilger in ihren malerischen Gewändern sind zu sehen. Sie brauchen keinen Eintritt zu zahlen. Vor den Statuen der Haupttempel werfen sie sich mit dem ganzen Körper auf den Boden. Manche Stellen im Stein sind schon ganz abgewetzt.

Über allem liegt der Duft der Butterlampen und Räucherstäbchen. Der Geruch ist nicht sehr angenehm, leicht ranzig und süß. In einer Halle sind die kunstvollen Tempelchen und Landschaften ausgestellt, die die Mönche aus Yakbutter herstellen. Es sind wundervolle bunte Kunstwerke, in denen jedes Detail liebevoll ausgestaltet ist.

Wir suchen am Abend lange nach einem Restaurant, wo wir an Stelle der hier üblichen Nudeln Reis bekommen. Das ist gar nicht so einfach. Denn dieses Gebiet ist eigentlich muslimisch geprägt. Und die Muslime essen lieber Nudeln. In einem Restaurant beim Guesthouse finden wir endlich Reis. Dabei kommen wir ins Gespräch mit einem Chinesen, der seinen kleinen Sohn ausführt. Wie gut, dass Soofon Chinesisch sprechen kann! Das ist wirklich ein Vorteil. In mir wächst die Sehnsucht, auch so gut Chinesisch sprechen zu können.

Abends schlafen wir beim Klang der Trommeln aus dem Tempel ein und morgens wachen wir vom Klang der Trompeten auf. Die mit Baumwolle gefüllten Steppdecken wärmen nur unzureichend. Eine Katzenwäsche mit dem kalten Wasser aus einer Kanne bringt unseren Kreislauf auf Trab.

24.07. – 26.07.1992 Xining: Zwischen Tibetern und Muslimen

Die Fahrt mit dem überfüllten Bus nach Xining, der Hauptstadt der Provinz Qinghai, ist schnell und kurz. Mittags sind wir in dem ersehnten Hotel. Es ist nicht ganz so komfortabel wie erwartet. Das Vierbett-Zimmer, in dem wir zwei Betten bekommen, liegt in einem dunklen Keller. Doch Soofon sieht sofort am Gepäck, das im Raum liegt, dass ihr Freund auch hier wohnt. Welch ein Zufall und welche Freude! Sie kennen sich von der Universität in Beijing, wo sie gemeinsam studieren. Fred wollte eigentlich nach Tibet. Auch das 4. Bett ist belegt. Hier macht man keine großen Umstände, Ausländer sind Ausländer und die werden gemeinsam untergebracht, egal ob Männlein oder Weiblein!

Es dauert gar nicht lange, da kommt Fred zusammen mit einem Engländer. Soofon und er fallen sich um den Hals. Zur Wiedersehensfeier wollen wir Kaffee kochen: Filterkaffee! Fred hat den Kaffee, heißes Wasser gibt es bei der Zimmerfrau. Eine Thermosflasche wird zur Kaffeekanne umgewandelt. In eine alte Blechdose bohren wir ein paar Löcher. Toilettenpapier ersetzt den Filter. Welch lieblicher Duft! Endlich mal Filterkaffee an Stelle des ewigen Nescafes! Der Kaffee schmeckt zwar etwas bitter, aber wir trinken ihn mit großem Genuss.

Beim Abendessen in einem nahen Restaurant lerne ich eine neue chinesische Spezialität kennen: Sizzling Rice. Das ist eine Art Puffreis, die mit heißem Fett übergossen wird. Dann knistert und spritzt der Reis eine Weile, bevor man ihn essen kann. Das Gericht ist allerdings auch ziemlich fett.

Ich mache am nächsten Tag meine Besichtigungen alleine. Allerdings bietet Xining nichts wirklich Sehenswertes. Ein ständiger Nieselregen dämpft außerdem meine Unternehmungslust. Am Bahnhof kaufe ich mir meine Fahrkarte für morgen nach Lanzhou. Leider kann ich keine Fahrkarte direkt bis Xi’an bekommen. Ich will auf keinen Fall noch einmal in Lanzhou übernachten und hoffe, dass ich dort eine Fahrkarte für den gleichen Tag nach Xi’an kaufen kann. Mich macht diese Unsicherheit ein wenig nervös.

Am Abend gehe ich noch einmal mit Soofon und Fred essen. Der Engländer ist weitergereist. Als wir wieder im Hotel sind, habe ich starke Kopfschmerzen. Dies trübe Wetter geht mir auf die Nerven.

26.07. – 27.07.1992 Xining – Lanzhou – Xi’an

Nachdem ich mich am Morgen von Soofon und Fred, die in Richtung Tibet weiter wollen, verabschiedet habe, schleppe ich mich durch den immer noch strömenden Regen zum Bahnhof. Die wenigen Stunden im Hardseater vergehen recht schnell. Die Landschaft ist im Dampf des Regens kaum zu erkennen. Entlang dem Gelben Fluss führt mich die Bahnstrecke von Qinghai nach Gansu.

Gegen Mittag komme ich im kühlen und nassen Lanzhou an. Ich versuche, am Bahnhof den richtigen Schalter für den Fahrkartenkauf zu finden. Da spricht mich ein junger Chinese in schlechtem Englisch an: ob er mir helfen könne? Ich schwanke zwischen Höflichkeit und Ablehnung. Ich weiß, dass er eine ganz andere Vorstellung von einer bequemen Bahnfahrt hat als ich. Er strebt auch gleich den Softsleeper-Schalter an. Ich gehe zu dem anderen Schalter, den ich als den richtigen für eine Fahrkarte Hardsleeper nach Xi’an identifiziert habe.

Allerdings gucke ich mich immer wieder nach einem Hinweis auf einen Touristenschalter um. Den sehe ich nicht und auch der junge Chinese weiß nichts davon. Er wartet mit mir geduldig in der Reihe vor dem Schalter. Als uns die uniformierte Schaffnerin nach unseren Wünschen, auf Chinesisch, fragt, drängt er sich vor und redet auf sie ein. Ich verstehe als Antwort nur „Mei You!“ als „Haben wir nicht!“ Der Chinese versucht, die Frau zu überreden und macht sie damit so wütend, dass sie einfach den Schalter schließt. Die ganze Zeit will ich den Chinesen zum Schweigen bringen, aber er hört nicht auf mich.

Ich weiß, dass man mit fordern und wütend werden nicht weiter kommt. Der Chinese gibt schließlich auf und entschuldigt sich bei mir für das Verhalten der Schaffnerin. Er weicht mir aber immer noch nicht von der Seite. Sein Englisch ist sehr schlecht und ich muss mich sehr darauf konzentrieren, ihn zu verstehen. Deshalb kann ich nicht nachdenken, was ich nun machen soll. Der Mann ist nett, aber er geht mir auf die Nerven. So freundlich wie irgend möglich sage ich ihm, dass er mich doch bitte alleine lassen solle. Endlich zieht er beleidigt ab. Ich habe das deutliche Gefühl, dass ich schon mehr in China gereist bin als er und damit einfach mehr Erfahrung habe und besser als er eine Fahrkarte organisieren kann.

Ich hole tief Luft und versuche, mich zu beruhigen. Wo könnte denn hier ein Schalter sein, der Fahrkarten an die Touristen verkauft?? Ich gehe vor den Bahnhof und schaue mich dort um. Aha! Da ist noch ein Schalter, an dem eine lange Schlange steht. Unter ihnen ein Westler. Ich spreche ihn an, ob dies der Schalter für Touristen wäre. Ja, sagt er. Ich bitte ihn, für mich die Fahrkarte für heute Abend nach Xi’an zu kaufen. Er kann nämlich Chinesisch, wie er gleich sagt, und kennt sich aus. Es stellt sich außerdem heraus, dass er Deutscher ist. Mit soviel Unterstützung habe ich schnell die gewünschte Fahrkarte in der Hand. Ich lade ihn zu einer Cola im nahegelegenen Hotel ein, um die Wartezeit auf den Zug zu überbrücken. Er erzählt, dass er wie ich auch am 05.09. von Beijing mit der Transsib fährt. Die Welt ist klein!

Im Zug habe ich ein Bett bei einer chinesischen Familie mit kleinen Kindern. Ich bastele aus einem Taschentuch eine Fingerpuppe und kaspere mit den Kindern rum. Ich radebreche auf Chinesisch. Die Kinder freuen sich. Ich kann sogar den kleinen Jungen von seinem ständig piependen Gameboy weglocken. Das freut die Eltern und andere Mitreisende, denn nun kehrt ein wenig Ruhe ein.

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Wie alles begann

Ulrike
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