Allein mit 36 Chinesen in Italien

Chinesische Touristen unterwegs in Europa

Ein Gastartikel führt uns heute auf Reisen mit Chinesen. Viele Chinesen möchten Europa kennen lernen. Wie läuft so eine Reise ab? Worauf legen chinesische Touristen großen Wert? Volker hat sich auf die chinesische Busreise durch Europa mit 36 Chinesen gemacht: 

Allein mit 36 Chinesen

在家靠父母,在外靠导游

Von Volker Stanislaw

Im folgenden Text möchte ich meine Erfahrungen und Erlebnisse schildern, wie ich sie wahrgenommen habe im vergangenen Jahr. Manche Punkte sind bewusst humorvoll geschildert, denn den Humor darf man auf keinen Fall zu Hause für das Reisegepäck vergessen.

Mitte September 2015 habe ich mit meiner chinesischen Frau und Schwiegermutter eine chinesische Busreise durch Europa unternommen. Der Reiseveranstalter war ein chinesisches Unternehmen. Neben Österreich und der Schweiz stand auch Italien auf dem Programm. Schwiegermutter hatte bereits drei solcher Reisen hinter sich und war bereits in West-, Nord- und Osteuropa.

Geschäfte für chinesische Touristen
Geschäfte in Europas viel besuchten Städten haben sich auf die Touristen aus Fernost eingestellt. Hier seht Ihr eine schöne Übersicht, wie berühmte Marken auf Chinesisch geschrieben werden.

Mein Interesse an der Reise bestand darin, mal zu testen, wie denn Chinesen so verreisen und für das Interkulturelle in unserer Deutsch-Chinesischen Ehe sei erwähnt: Ja, ich wollte auch sehen, ob ich ruhigen Gewissens  meine Schwiegermutter mit solchen Reisegruppen losschicken kann.

Busreise, Hotel mit Frühstück sind inklusive. Für die weitere Verpflegung muss man selber sorgen, was für die meisten Mitreisenden bedeutete: Brot, Brot und nochmals Brot.

So wurden Milchbrötchen und Toast gebunkert (Vollkornbrot ist ja zu hart), jede Menge Tomaten und Bananen (für die Vitamine) eingekauft und für Abends im Hotel: Instant Nudelsuppen, denn etwas Warmes braucht der Mensch. Eine Mitreisende hatte sogar ein großes Paket Instant Nudeln dabei, damit sie sich morgens stets ihre heimische Nudelsuppe kochen konnte.

Die Reise geht los

Die chinesischen Touristen stiegen in unterschiedlichen Sammelpunkten ein. Der endgültige Bus war ein  komplett neuer deutscher Bus samt deutschem Busfahrer. Um die Sicherheit musste ich mich also nicht sorgen.

Venedig

Der Busfahrer hat sich mittlerweile übrigens auf chinesische Touristen spezialisiert und arbeitet eng mit chinesischen Reisebüros zusammen. Seiner Meinung nach sind Chinesen sehr diszipliniert im Bus und hören auf seine Worte. Abfall wird nicht auf den Boden geworfen, sondern in die verteilten Mülltüten.

Nachdem alle Gäste an Board waren, stellte ich wenig überrascht fest, dass ich die einzige Kartoffel = Deutscher war. Hinter mir wurde Chaoshan Dialekt gesprochen, rechts von mir feinstes Shanghainesisch und vor mir Kantonesisch. China ist groß und die Dialektvielfalt enorm.

Der Reiseleiter konnte zwar Deutsch, doch die Erklärungen etc. wurden in Hochchinesisch vorgetragen. Gott sei Dank kann ich Chinesisch, da hat sich das jahrelange Studium doch gelohnt. Gleich zu Beginn fiel mir schon eine Besonderheit auf. Chinesische Touristen hören sehr auf das Wort des Reiseleiters. Während wir Deutsche dem Reiseleiter eher touristische Infos entlocken wollen, ist der Reiseleiter für Chinesen eine Art Betreuer, der sich rund um die Uhr um alle Belange kümmern muss. Getreu dem Motto: 在家靠父母,在外靠导游, zu Hause kannst Du Dich auf Deine Eltern verlassen, auf Reisen kannst Du Dich auf den Reiseleiter verlassen.

Chinesische Touristen in Venedig
Venedig und dort eine Gondelfahrt steht auf allen Programmen der chinesischen Busreise durch Europa

Viele der Reisenden haben Kinder hier in Deutschland zum Studium, Arbeiten oder Leben. Die Eltern sind zu Besuch in Deutschland und möchten so viel wie möglich sehen. Weil Deutschland aus chinesischer Sicht klein ist, bietet sich doch ganz Europa zum Rumreisen an. Die Reisen sind meist angeboten nach West-, Süd-, Osteuropa etc. Es geht weniger um die einzelnen Länder als viel mehr um die einzelnen Teile Europas, die man bereist haben muss.

Probleme?

Größtes Problem in den Hotels waren die Kaffeevollautomaten. Für mich als Deutscher ist der Unterschied zwischen einem Café Latte und einem Milchkaffee schon schwer nachzuvollziehen. Wie muss sich erst dann ein Chinese fühlen, der zum ersten Mal in seinem Leben vor so einem Automaten steht? Die Hinweise waren entweder in Deutsch oder Englisch angebracht. Die meisten Chinesen wollten aber zur Überraschung des Hotelpersonals keinen Latte Macchiato trinken, sondern schlichtweg pures heißes Wasser 白开水, was dann standesgemäß in die mitgebrachte Thermoskanne gefüllt werden sollte. Problem war meist, dass die Kanne oder das umfunktionierte Marmeladenglas nicht unter die Automaten passte.

Die hilfesuchenden Chinesen wandten sich dann an das Personal, das natürlich kein Wort verstand und oftmals auch überhaupt nicht begriff, was die Chinesen wollten. Hier haben die Hotels eindeutig Verbesserungspotential. Auch fehlte in den Zimmern der obligatorische Wasserkocher.

Das Touristenprogramm unterscheidet sich übrigens kaum von dem deutscher Reisen. Rheinfall, Kolosseum und Vatikan stehen auch für Chinesen auf der Reiseroute. Es ging keineswegs in irgendwelche Shoppingfallen.

Fazit:

Solch eine Busreise durch Europa wie 10 Tage, 4 Länder und 20 Städte sind zwar anstrengend, aber ideal, um mit der chinesischen Familie zu verreisen. Gerade für die Ehepartner ist es eine große Freude, mit den Eltern auch mal hier verreisen zu können. Dieser Aspekt sollte nicht vergessen werden. Die Preis-Leistung stimmt und letzten Endes sind es doch die Reiseerinnerungen, die bleiben und die vielen Fotos, die dann stolz in China von Europa präsentiert werden können.

Volker

Der Autor

Volker Stanislaw ist der stellvertretende Vorsitzende der Gesellschaft für Deutsch-Chinesische Freundschaft e.V. aus Düsseldorf (GDCF).
Seine große Leidenschaft ist das chinesische Kabarett Xiangsheng 相声 und er träumt davon, eines Tages vor Chinesen Kabarett zu performen.
Volkers Kochbuch „Kochlöffel im Wok“ fand große Begeisterung in den deutsch-chinesischen Küchen.

(c) Alle Fotos sind copyright von Volker Stanislaw

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8 Gedanken zu „Allein mit 36 Chinesen in Italien“

  1. Hallo,
    toller Bericht – Kulturschock mal anders 😉
    Das mit dem hießen Wasser kann ich voll nachvollziehen, ui, da tun mir die armen Reisenden fast schon ein bisschen leid!
    Liebe Grüße, Anne

  2. Wenn ich die Möglichkeit der Wahl habe, entscheide ich mich beim Frühstück meistens für die westliche Variante: Toast und Spiegeleier. Nudelsuppe am frühen MOrgen geht bei mir gar nicht! So ist jeder anders. Ja, ich kenne hier auch Chinesen, die gerne mal nen eisbein essen. Aber zum Frühstück essen auch hier lebende Chinesen gerne Sojamilch und Reissuppe mit eingelegtem Gemüse.

  3. …europäische Küche besteht doch nicht aus Vollkornbrot und Ballaststoffen… In Singapur stürmen die Chinesen „Paulaner“ und „Mövenpick“, lieben Knödel und Schweinshaxe usw. Ich könnte pausenlos ihre Nudelsuppe schon zum Frühstück essen. Konnte früher in schönen Thai Hotels beobachten, beim Frühstücksbuffet stürmten die Asiaten die westliche „Ecke“ und ich war nur in der asiatischen zu finden…

  4. Hmm, Chinesen und Asiaten haben häufig das Problem, dass sie Vollkornbrot und ballaststoffreiche Nahrung nicht gewohnt isnd und deshalb manchmal auch nicht vertragen. Mir geht das seit meinen längeren Aufenthalten in China übrigens auch so. Die Asiatische Küche ist viel leichter verträglich.
    Aber den Wasserkocher auf dem Zimmer, den finde ich sehr praktisch und gucke immer häufiger darauf, dass ich ein Hotel buche, wo das auch der Fall ist, auch in Europa.

  5. Prima Bericht, dankeschön. Wir lächeln hier manchmal über solche Gruppen und hören Horrorgeschichten, wie sie durch Europa „getrieben“ werden. Nachdem ich mich in Asien gern den heimischen Genüssen hingebe, find´ ich es schade, daß Asiaten bei uns zumeist ihre spezifischen Eßgewohnheiten fortführen wollen. Ist aber nunmal so und auf jeden Fall hat sich die europäische Hotellerie darauf einzustellen. Daß dies immer noch nicht geschehen ist, wundert mich sehr, habe es, wo zufällig selbst miterlebt, auch angeprangert. Mir imponiert, daß es immer mehr Chinesen gibt, die sich individuell auf Reisen begeben…

  6. Ja, da hast Du recht! Ich finde es auch toll, dass sich Volker an dies Experiment gemacht hat. Und habe einige neue Erkenntnisse gewonnen.
    Übrigens habe ich mir mein Hotel in Paris auch danach ausgesucht, ob es einen Wasserkocher auf dem Zimmer gibt. 😉

  7. Klasse, danke für den tollen Einblick! 🙂

    Seit ich selber erlebe, wie riesig China und alles in China ist, habe ich es mir abgewöhnt, über „4 Länder, 20 Städte in 10 Tagen“ zu lächeln. Wenn man aus China kommt, hat das einfach alles eine ganz andere Perspektive.

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