Beijing Language Institute 1993 – Begegnungen

Zuletzt aktualisiert vor 8 Monaten

Beijing Language Institute 1993

BLOGPARADE: Was ist dein nachdenklichstes Erlebnis auf Reisen?

Paul von adventureluap.de ruft zur Blogparade „Mein nachdenklichstes Erlebnis auf Reisen“ auf : Dabei interessieren ihn besonders die Antworten auf folgende Fragen:
1.Was ist an diesem Tag passiert?
2. Warum hat dich dieses Erlebnis so nachdenklich gemacht?
3. Wie hat dich dieses Erlebnis geprägt, wie oft denkst du noch daran zurück?
4. Wie wichtig ist es deiner Meinung nach, mit offenen Augen zu reisen?

Da hatte ich gleich die Idee, mit diesem Artikel teilzunehmen. Im Vordergrund stehen meine Begegnungen  1993 am Beijing Language Institute. Die internationale Gemeinschaft, die überwiegend geprägt war von dem zwanglosen Miteinander von Studenten aus aller Welt, die vielen Gespräche und Begegnungen haben mein Leben seitdem sehr geprägt.

Mein nachdenklichstes Erlebnis in dieser Zeit habe ich weiter unten aufgeführt: Südkorea trifft Nordkorea (1). Mich hat dabei die tiefe Freude, die der junge Mann empfunden hat, beeindruckt (2). Ich denke immer noch oft daran zurück. Jedes Mal, wenn ich irgendwo etwas von Mauern, die neu errichtet werden, lese oder höre, bin ich traurig, dass sich die Welt einfach nicht weiter entwickeln will (3). Ja, ich bin aufgewachsen mit der Idee, dass die Menschen durch die vielen Möglichkeiten des Austausches und der Begegnung einander mehr verstehen und eine friedlichere, tolerantere und freundschaftlichere Welt entsteht (4). Schade, dass es noch nicht soweit ist! Reisen und miteinander reden ist wichtiger denn je!

Mein Jahr am Beijing Language Institute

Ich habe 1993 am Beijing Language Institute in Peking Chinesisch gelernt. Das war ein bisschen wie noch einmal in die Grundschule gehen. Es gab den in China üblichen Frontalunterricht, eine schrille Klingel, die den Anfang der Unterrichtsstunden ankündigte und Diktate.

Ich und einige Freunde am Beijing Language Institute. Dicke Kleidung und die Reste der Paketklebestreifen. 1993
Ich und einige Freunde im Klassenraum des Beijing Language Institutes 1993.

Ich war damals 38 Jahre alt und fühlte mich manchmal im „falschen Film“. 95 Punkte im Diktat? Das war eine Eins – Jubel! Ein Lob von unserer Klassenlehrerin? Die war jünger als ich, aber ich war stolz wie ein Erstklässler, wenn ich von ihr gelobt wurde. Ja, ich entwickelte einen Ehrgeiz, wie ich ihn in meiner Schulzeit nie empfunden hatte. Damals war ich eher mittelmäßig, hier war ich Klassenzweitbeste. Denn es gab eine Japanerin, die war aufgrund ihrer Vorkenntnisse einfach nicht zu  schlagen. Sie war mir eine gute Freundin.

Erster Unterricht am Beijing Language Institute

Überhaupt: Gerade diese erste Klasse, in die ich eingestuft worden war, war eine bunte Mischung von Schülern aus aller Welt. Da waren:

  • Ein Amerikaner Anfang 40, der sich in den Kopf gesetzt hatte, Chinesisch zu lernen
  • Zwei weitere junge Amerikaner (einer davon Jude), die Chinesisch für ihr Studium brauchten
  • Eine Übersee-Chinesin aus New York, die als verwöhnte Prinzessin nicht sehr glücklich war in Peking
  • besagte Japanerin, die mit einem Angehörigen der Singapurer Botschaft verheiratet war und die Zeit nutzen wollte
  • Eine Jamaikanerin, die Chinesisch können musste, um später in Peking Theater zu studieren
  • Zwei Studenten aus Südkorea, die sich von Chinesisch Kenntnissen später Vorteile als Businessmen versprachen
  • Eine wunderschöne Südkoreanerin

Ja, wir waren ein bunter Haufen! Das war es, was mir am Beijing Language Institute am besten gefiel und mir bis heute am lebhaftesten in Erinnerung geblieben ist: Die Begegnung mit Menschen aus aller Welt. Das Beijing Language Institute galt bei allen als der beste Ort, um schnell und gut Chinesisch zu lernen.

Im Klassenzimmer
Im Klassenzimmer

Hier hatte ich die Möglichkeit, an einem einzigen Tag mit einem Ur-Einwohner aus dem Amazonas-Gebiet, einem Afrikaner aus dem Kongo, einem Palästinenser, einer Israelin, jemandem aus Thailand, aus Mexiko usw. zu sprechen.

Unvergessen die lauen Sommerabende, wenn wir vor dem Wohnheim zusammen saßen, Deutsche, Afrikaner, Amerikaner, Asiaten, ein Bier tranken und uns unterhielten – auf Chinesisch. Herrlich, wenn sich Lao Ye, der alte Chinese, der auf dem Institutsgelände leere Flaschen sammelte, zu uns gesellte und seine Geschichten erzählte!

Beijing Language Institute
Laoye

Feste und Begegnungen

Wir feierten viele Feste: Diverse Nationalfeiertage, Thanksgiving, Weihnachten und Opferfest. Meine Mitschüler, meine Schulklasse, wir hatten schnell die Idee entwickelt, dass jeder von uns mal zu einem Essen aus seiner Heimat einlud. Unsere Lehrerinnen machten mit, Auch wenn das damals gar nicht so einfach war, denn sie brauchten eine Genehmigung, um uns im Wohnheim besuchen zu können.

Auf diese Weise kamen wir in den Genuss von Jiaozi, die wir zusammen herstellten, oder ein üppiges koreanisches Essen, zu dem die Koreaner uns in einem der koreanischen Restaurants in der Nähe einluden. Die Amerikaner machten uns ein Frühstück. Und die Japanerin lud uns in ihre feudale Wohnung ein.

Sommer
Sommer

Ich hatte den Ehrgeiz entwickelt, eine deutsche Erbsensuppe zu kochen. Tja, was soll ich sagen: hatte ich wirklich Erbsen gekauft? Oder waren es grüne Sojabohnen? Jedenfalls wurden die „Erbsen“ auch nach stundenlangem Kochen nicht wirklich weich. Aber alle fanden die Suppe gut, vielleicht nur aus Höflichkeit.

Südkorea trifft Nordkorea

Die tollste Begegnung, die mich persönlich am meisten beeindruckt hat, war die folgende:

Eines Tages im Frühling kam einer der koreanischen Jungs nach der großen Pause zu spät zum Unterricht. Er glühte vor Aufregung, konnte es zuerst kaum in Worte fassen, was ihm begegnet war (er musste ja Chinesisch sprechen, damit ihn alle verstanden): „Ich habe gerade einen Studenten aus Nordkorea getroffen. Aus Nordkorea!“

Wo war es irgendwo auf der Welt möglich, dass ein Südkoreaner einen Nordkoreaner trifft, ohne Aufwand, ohne Einschränkungen, einfach so?!

Dazu muss ich auch sagen, dass so kurz nach der Wiedervereinigung in Deutschland viele Koreaner große Hoffnungen hatten, dass so etwas auch in Korea möglich sei. Ich bin vor allem in der Zeit, als ich durch Südkorea reiste, mehrfach drauf angesprochen worden. Wie traurig, dass es bis heute nicht gelungen ist, diese Länder zu vereinen!

Heute ist aus dem Beijing Language Institute die Pekinger Universität für Sprachen und Kultur geworden, ein immer noch faszinierender Ort voller ungewöhnlicher Begegnungen. mehr

Ich bin sehr dankbar für dieses fantastische Jahr in Peking und die vielen Begegnungen mit interessanten Menschen aus aller Welt. Mit manchen bin ich heute noch befreundet.

Links

Blogger gegen Rassismus Klein

Dies ist ein vielleicht nicht so offensichtlicher Beitrag zu unserer Aktion Blogger gegen Rassismus

Ulrike

6 Gedanken zu „Beijing Language Institute 1993 – Begegnungen“

  1. Die Sprache habe ich für mein damaliges „Hauptfach“ (= Chinesische Geschichte) gebraucht. Bis heute ist aber genug hängen geblieben, um mich problemlos zu verständigen, wenn mein Gegenüber das Hochchinesische spricht. Als Student konnte ich mir leider nur eine größere Reise in den Semesterferien leisten, die in die Regionen südlich des Yangzi führte. Allerdings… diese fast dreiwöchige Bahnreise kostete für uns Studenten in den 1980-er Jahren weniger als heute eine (!) Übernachtung in einem 3- bis 4-Sterne-Hotel! Nach meinem Studium war ich noch fast 20 mal in China und bin dem Land bis heute privat und beruflich verbunden. Morgen geht’s übrigens wieder ab ins „Reich der Mitte“!
    Danke für deinen infromativen Blog & mach‘ weiter so!
    Jörg

  2. Wow! Da bist Du ja schon ganz früh in China gewesen! Hast du Dein Chinesisch beruflich genutzt? Und bist Du in China gereist in der Zeit? Wie waren Deine Eindrücke?
    LG
    Ulrike

  3. Ich habe 1983/84 zwei Semester am Yuyan Xueyuan studiert und deinen Beitrag mit großem Interesse gelesen. Da werden viele Erinnerungen wieder lebendig! In den 1980-er Jahren waren die Kontakte zu den chinesischen Studenten auf dem Campus noch nicht so leicht und ungezwungen möglich wie später, aber trotzdem fanden wir immer Mittel und Wege. Es war eine tolle Zeit!

Ich freue mich auf Deinen Kommentar!